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Bileams Esel

Morgenandacht, 22.03.2025

Sebastian Fiebig, Hamburg

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Ein sprechender Esel, ein blinder Seher und ein zorniger Engel. Sie sind der Stoff einer Szene in der Bibel, die auf den ersten Blick seltsam erscheint, dann aber eine wichtige Botschaft enthüllt. [1]

Der König von Moab, so beginnt die Geschichte, will ins Nachbarland Israel einmarschieren und das Land besetzen. Er will dabei nicht nur auf die Macht seiner Soldaten bauen, sondern auch auf Zauberkräfte. Er wendet sich an den Seher Bileam und bittet ihn, das Volk Israel mit einem Fluch zu belegen, um das Land leichter erobern zu können. Der Auftrag ist gut bezahlt, darum reitet Bileam auf einem Esel zum König, um die letzten Details zu klären. Bis hier ist die Geschichte recht glaubwürdig. Die beiden Nachbarreiche Moab und Israel gab es wirklich, auch Streitigkeiten um das Territorium. Und der Seher Bileam ist sogar außerhalb der Bibel belegt.

Doch dann entwickelt sich die biblische Erzählung etwas seltsam. Der Esel benimmt sich merkwürdig: Er läuft auf ein Feld, quetscht seinen Reiter gegen eine Mauer, schließlich geht er in die Knie und macht gar nichts mehr. Bileam schlägt auf den scheinbar störrischen Esel ein. Jetzt wird es ganz verrückt. Der Esel fängt an zu sprechen und sagt: "Warum schlägst du mich?" Und als sei das nicht wundersam genug, erscheint auch noch ein Engel. Der sensible Esel hatte ihn schon längst wahrgenommen. Nun erkennt auch Bileam den Engel, der mit einem Schwert in den Händen vor ihnen steht und den Weg versperrt.

Ich habe versucht, mich auf diese Geschichte einzulassen. Und mir wurde sie dabei immer weniger absurd, eigentlich sogar ganz realistisch, wenn man sie als Gleichnis liest. Also als Bildgeschichte, die hinter dem vordergründigen Geschehen eine tiefere, symbolische Aussage bereithält. Da ist auf der einen Seite ein Seher, der einen guten Ruf hat und überzeugt von sich ist, weil er glaubt, alles zu sehen und alles zu wissen. Aber in Wirklichkeit sieht er gar nichts, denn er hat kein Gespür für die Dinge des Herzens. Er zieht los, um einem ganzen Volk zu schaden, gegen Bezahlung und im Auftrag der Mächtigen. Auf der anderen Seite ist da ein Esel. Ein Tier, das den Ruf hat, eigensinnig und störrisch zu sein. Das einfach seinem Instinkt folgt und erkennt: Dieser Weg ist ein Irrweg. Und darin die Dinge viel besser erfasst als der vermeintlich kluge und weise Seher Bileam.

Denn das ist die Botschaft des Engels, der wie ein lebensgroßes Stoppschild den Weg versperrt. Engel überbringen Botschaften, diese hier lautet: "Gott ist immer auf der Seite der Schwachen." Der Auftrag Bileams dagegen ist einer, der den Schwachen schadet: Das Wohlergehen der Menschen aus reinem Eigennutz zu verhindern, das ist nicht in Gottes Sinn. Vielleicht wäre es eine Hilfe, wenn uns hin und wieder auch solche Stoppschild-Engel begegnen, die uns sagen: Dieser Weg ist nicht gut für dich, ist nicht gut für euch alle. Bedenke die Konsequenzen und kehre um, solange du noch kannst.

Diese Geschichte ist für mich ein gutes Beispiel dafür, dass selbst die verstörend anmutenden Erzählungen der Bibel wichtige Aussagen enthalten, die es zu entdecken lohnt. Mir macht sie klar: Es gibt so einen Warn-Engel in uns. Er heißt Gewissen. Wenn wir sensibel sind, dann hören wir die Stimme des Gewissens. Denn wir können einordnen, was gut ist, was anderen hilft, was das Leben wachsen lässt, wenn wir den Blick heben aus einer allzu ichbezogenen Sichtweise.

Wie ging es weiter mit Bileam? Tatsächlich nimmt er sich die Warnung des Engels – oder seines Gewissens – zu Herzen. Er tritt zwar den Auftrag noch an, doch statt Flüche gehen Segenswünsche von ihm aus. Der König ist verärgert und Bileam sucht schnell das Weite. Aber das Gute hat gesiegt.


[1] Num 22

Über den Autor Sebastian Fiebig

Sebastian Fiebig wuchs in Hamburg auf und studierte Theologie in Münster. Heute arbeitet er als Pastoralreferent im Erzbistum Hamburg. Sein Weg führte ihn in die Pfarrpastoral und die Seemannsseelsorge im Hamburger Hafen. Beauftragt wurde er auch mit dem Gedächtnis an die Lübecker Märtyrer, die in der Zeit des Nationalsozialismus Widerstand leisteten und hingerichtet wurden. Sebastian Fiebig wurde in die Ökumene- und Liturgiekommission des Erzbistums berufen. Seit vielen Jahren schreibt er Radiobeiträge für die Kirchensendungen des NDR.

Kontakt: sebastian.fiebig@erzbistum-hamburg.org