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Biblische Erholung

Morgenandacht, 22.08.2023

Schwester Aurelia Spendel, Augsburg

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Jetzt hängen sie wieder in den Läden – die großen Bildkalender für das nächste Jahr. Mir fallen dabei besonders die vielen Katzenkalender auf – ein Albtraum für die einen, die Katzen nicht mögen, eine unerschöpfliche Quelle eines "Oh wie süß!" für die anderen.

Ich finde Katzen ganz nett, außer sie jagen Vögel, zerkratzen den Sofabezug oder schreien mir die Ohren voll, wenn sie rollig sind. Eines aber muss man ihnen lassen: Sie wissen sich zu dehnen, zu räkeln, zu recken und zu strecken, dass es eine Wonne ist. Ich schaue ihnen dabei gerne zu und denke: So hingebungsvoll geht das nur, wenn man sich ganz auf sich selber konzentrieren kann. Kein quälendes Gedankenkarussell, das Tag und Nacht den Augenblick zerhackt, keine Zukunftsängste und erst recht keine Lasten aus vergangenen Zeiten, die einen hinunterziehen. Nur das pure Hier und Jetzt. Katzen fühlen sich wohl, wenn sie sich so frei bewegen, um unverkrampft wieder loszugehen, um neue Abenteuer zu erleben.

Loswerden, was fesselt, weiten, was einengt, Lasten abgeben, um unbeschwert, frei zu sein – das tut so gut, in der Tiefe der Seele und in jeder Faser des Körpers.

Es mutet den einen oder die andere vielleicht merkwürdig an, dass etwas scheinbar so „Weltliches“ ein zentraler Inhalt der Botschaft Jesu ist. "Kommt her zu mir, die ihr müde seid und ermattet von übermäßiger Last. Aufatmen sollt ihr und frei sein." So hat der evangelische Theologe Jörg Zink die betreffende Stelle im 11. Kapitel des Matthäus-Evangeliums in der Bibel übersetzt.

Müde sein und aus dieser Müdigkeit kaum noch herausfinden: Mir fallen junge Eltern ein, deren Baby keine Nacht durchschläft und die am nächsten Morgen trotzdem fit sei müssen; Longcovid-Patientinnen und -Patienten; Menschen mit Fatiguesyndrom nach einer Krebserkrankung; Frauen und Männer, die in der Schichtarbeit eingesetzt sind in Fabriken, medizinischen Einrichtungen, sozialen Dienste, bei der Polizei, der Feuerwehr und auch die Lebensmüden, die endlich, endlich schlafen wollen für immer. Sie alle sind gemeint: "Kommt her zu mir, die ihr müde seid und ermattet von übermäßiger Last."

Wie soll das gehen? Schichtdienst bleibt Schichtdienst, ein Schreikind bleibt ein Schreikind. Schöne Worte, kein Jesus taucht auf aus dem Off und rackert sich ab für mich. Skeptiker haben Recht mit diesem Einspruch. Jesu Einladung versetzt niemanden in einen passiven Ausstand.

Das Leben ist, wie es ist – wäre durch seine Einladung nicht ein schmaler Spalt in der Mauer der Überforderung aufgegangen: "Komm".

Durch diesen Spalt fällt Licht in die Finsternis der Müdigkeit, der Resignation, des Ausgenutzt-Werdens und der Traurigkeit. Dieses "Komm" sagt: "Sei da, sei ganz, nur für einen Augenblick." Das kann ganz einfach sein: "Schau in die Weite. Atme ein und dann aus. Sei nur da. Bei dir. Ich behüte dich."

Menschen, die dieses Dasein für einen Augenblick erfahren haben, erzählen davon, dass sich die Augenblicke danach anders anfühlen als die davor. Etwas wird weiter, heller, unkomplizierter. Sie können endlich seufzen aus tiefster Seele und sogar weinen. Es gibt einen Ruheplatz, der ihnen gehört und der immer zugänglich ist. "Aufatmen sollt ihr und frei sein" – man muss nichts tun, nichts leisten, nur kommen, um dann weitergehen zu können, sich zu dehnen, zu recken und zu strecken, damit das Leben wieder fließt.

Über die Autorin Schwester Aurelia Spendel

Sr. Aurelia Spendel OP, Dr. theol., wurde 1951 geboren. Sie ist Dominikanerin und lebt in Augsburg.

Kontakt: aurelia.spendel@t-online.de