"Als die Sonne unterging, deckten wir den oberen Teil einer Tür auf: Es war also wirklich wahr! Unsere Jahre geduldiger Arbeit wurden doch noch belohnt."
Das schreibt der Ägyptologe Howard Carter vor mehr als hundert Jahren über die Entdeckung des Grabes von Tutanchamun im Tal der Könige 1922. Ein versiegeltes, unberührtes Königsgrab. Der Wissenschaft bietet das Grab bis heute einen tiefen Einblick in den Totenkult der alten Ägypter. Kein Volk hat ihn so auf die Spitze getrieben. Gold und Edelsteine, Nahrungsmittel und Figuren als Diener, das alles gaben die alten Ägypter ihren Pharaonen mit ins Grab.
Nichts sollte den Toten fehlen im Jenseits. Dass es dort vielleicht ganz anders sein könnte als im irdischen Leben, das war für sie unvorstellbar. Am Ende wird der Verstorbene wieder neugeboren, so die Vorstellung, er wird wieder auferstehen. Und der ägyptische König kann quasi nahtlos an sein altes Leben anschließen, denn alles was er dafür braucht, ist ihm im Grab mitgegeben.
Was für ein Unterschied zu unserer heutigen Begräbniskultur. Dass wir keine Reichtümer und keine Nahrungsmittel brauchen, wenn wir einmal gestorben sind, das ist in unserer aufgeklärten Gesellschaft keine Frage mehr. Anders aber sah es lange Zeit mit der Größe und Gestaltung der Grabanlagen auf unseren deutschen Friedhöfen aus. Wer heute auf einem alten Friedhof spazieren geht, der kann die Entwicklung im Zeitraffer nachvollziehen.
Pompöse Grabmäler aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert künden vom Reichtum und Einfluss alter Fabrikantenfamilien. Später sind es liebevoll bepflanzte Familiengräber und je länger das 20. Jahrhundert dauert, kleine Urnengräber im Erdreich, die jetzt ergänzt werden durch Urnenwände. Es gibt die Rasengräber, die keine Pflege brauchen. Und dem Blick des Betrachters ganz entziehen sich die Menschen, die sich für ein anonymes Gräberfeld entscheiden.
Unser 21. Jahrhundert erlebt einen radikalen Umbruch der Bestattungskultur. Das hat oft ganz praktische Gründe, z.B. die Frage nach der Grabpflege oder der Höhe der Kosten. Aber auch die zunehmende Verdrängung des Todes aus dem Leben hat damit zu tun. Immer mehr Menschen wollen keine Friedhöfe mehr besuchen, weil es ihnen unangenehm ist. Und außerdem ist nach dem Tod für viele sowieso alles aus. Warum denn dann noch Aufwand treiben?
Nach christlichem Verständnis hat Gott den Menschen erschaffen. Er ist sein Ebenbild. Er ist eine einzigartige Person und seine Würde ist auch mit einem Namen verbunden. Die christliche Tradition besteht deshalb bis heute darauf, dass das Grab mit dem Namen des Verstorbenen gekennzeichnet wird. Denn auch im Tod bleibt bei Gott der Name bestehen. Und deshalb soll er auf der Erde nicht ausgelöscht sein. Das christliche Glaubensbekenntnis gipfelt ja in dem Satz: "Wir erwarten die Auferstehung der Toten und das Leben der kommenden Welt." Und wenn wir alle auch nicht wissen können, wie dieses Leben einmal aussehen kann, so soll doch der Name darauf hinweisen: Ich bin nicht verloren im Nichts.
Yad Vashem –Denkmal und Name heißt in Jerusalem die zentrale Gedenkstätte für die Opfer des Holocaust. Denn das spricht Gott den Menschen zu, sagt er durch den Mund des Prophet Jesaja: "Ihnen allen errichte ich ein Denkmal, ich gebe ihnen einen Namen, […] der niemals ausgetilgt wird" (Jes 56,5). Daran will ich gerne glauben.
Das Wichtigste, das die Wissenschaftler vor hundert Jahren im Grab des Pharao gefunden haben, war übrigens nicht aus Gold und Edelstein. Es war der Name dessen, der hier ruhte: Tutanchamum – zu deutsch: Lebendes Abbild des Amun.