Newsletter

Spoileralarm!

Morgenandacht, 23.01.2024

Mathias Albracht, Münster

Beitrag anhören

Eines meiner Lieblingsmuseen ist die Alte Pinakothek in München. Dort hängt zwischen unzähligen Meisterwerken verschiedenster Epochen ein Bild, das mich besonders anspricht. Es handelt sich um das Triptychon des sogenannten Kolumba-Altares aus der gleichnamigen ehemaligen Kirche in Köln und wurde vom großen Meister der altniederländischen Malerei, Rogier von Weiden geschaffen.

Die Szene: Die Anbetung der Heiligen Drei Könige in einem dunklen, bruchbudenhaften und klapperigen Stall vor den Toren einer prächtigen Stadt. Wie es sich gehört mit Maria, Josef, Jesuskind, Ochs und Esel und freudigen Besuchern, den Königen oder Weisen aus dem Morgenland, von denen die Bibel berichtet. Alles im für den Maler zeitgenössischen Setting und mit damals moderner Kleidung. Fein und bewundernswert akribisch und detailverliebt ausgeführt.

Eine Sache irritiert allerdings die erwartbare Szenerie: Die Rückwand der Stallkulisse ist in zwei Bögen geteilt, die von einer mittleren Säule gestützt werden. An dieser Säule hängt, während vorne im Bild die Anbetung der Könige stattfindet, ein Kruzifix.

Was soll das denn? Wird hier, das Ende der Geschichte "gespoilert"? Findet der Maler die ganze Geschichte mit dem Christentum langweilig und will die Story abkürzen? "Kommt Leute, wir wissen eh alle, wie es ausgeht?"

Ich glaube das nicht. Mir gefällt das Bild sehr und ich mag es aus meiner beruflichen Sicht als Seelsorger und natürlich auch als Christ so verstehen: Das Erinnern an Jesu Leben ist täglich und jährlich Brot. Im Jahreslauf lassen wir alle seine Etappen vorbeiziehen. Inspiriert in der Terminwahl von auch römischen Festkreisen und am Mond orientieren Zeitmarken aus frühjüdischen Zeiten. Das ist hilfreich, damit möglichst viele Motive und Facetten im Gedächtnis bleiben, so auch die Geburt des Höchsten in einem ärmlichen Stall.

Aber: Gottes Wirklichkeit übersteigt die Zyklen meiner Erinnerungsmaschine. Er ist immer im Jetzt. Unabhängig von Glühwein- oder sommerlichem Badewetter enthält der Glaube transformative Kraft für jeden Menschen zu jeder Zeit. Gott will helfen und heilen. Das Leben mit seinen Schicksalsschlägen nimmt schließlich auch keine Rücksicht auf betuliche Feiertage und wartet die Bescherung nicht ab.

Um es provokant ins Bild des Meisters von Weiden zurückzubringen: Im Kitsch der Weihnachtsidylle – da Krönchen, da Eselchen – ist das an der Säule hängende Kreuz das Zeichen der radikalen Zuwendung eines Gottes, der sich im dreckigen Stall auf die Welt bringen lässt und bereit ist, bis in den erbärmlichsten Tod  mitzugehen; um sichtbar zu machen, wie sehr er in der Lage ist, menschliche Kategorien zu weiten, ja, zu sprengen.

Verrät also Rogier von Weiden hier dann bloß dem aufmerksamen Betrachter das triste Ende einer kitschigen Story? Nein. Von Weiden malt für mich, dass Gott mit seiner Kraft immer da sein will als eine Stütze, die die wackeligste Decke fest tragen kann. Die unbarmherzige Natur der menschlichen Schicksalsschläge kennt nämlich keine verlängerten Wochenenden und Weihnachtsferien. Das Gute: Gott macht im Gegenzug auch keinen Urlaub.

Ich stelle mir vor, wie die Bürgerinnen und Bürger Kölns vor über 500 Jahren auf dieses Gemälde geschaut haben. Im Schummerlicht des frühen, durchnässten Januars, vielleicht mit der Kolumbakirche als einem der wenigen trockenen Rückzugsorte ihres Alltags. Die Weihnachtszeit war auch für sie schnell vorbei. Was für sie blieb, war vielleicht die gestärkte Hoffnung an einen Gott, der sich für nichts zu schade ist und die Höhen und Tiefen des Lebens kennt, mitgeht und die Regeln einer ungerechten Welt durchkreuzt.

Über den Autor Mathias Albracht