Meine Nachbarin hat eine geradezu wundersame Verwandlung erfahren. War sie früher oft griesgrämig, hinterlässt sie heute, wo sie geht und steht, eine Leuchtspur. Ich kann mir diese Verwandlung nicht erklären. Ich lade sie ein auf eine Tasse Kaffee. Sie kommt gerne. Und dann geht es los: Ausgelöst hatte ihre Verwandlung eine kleine Katze. Eines Tages saß sie da. Maunzte, putzte sich und spazierte durch die offenstehende Tür ins Haus. Es war nicht festzustellen, woher sie kam und warum sie sich ausgerechnet die Wohnung meiner Nachbarin ausgesucht hatte. Sie ließ sich nicht vertreiben, also blieb sie. In Windeseile übernahm sie das Regiment – und machte meine Nachbarin froh.
Für Menschen, die keine Katzen mögen, ist es vielleicht nicht die richtige Geschichte. Aber Eines aus dieser Geschichte gilt wohl für viele. Wenn sich der Alltagshorizont weitet – wodurch auch immer –, verengt sich der Blick nicht mehr auf das, was uns ärgert oder ängstigt. Alltagsprobleme werden so wie die großen Krisen rund um die Welt für einen Augenblick kleiner.
Nun stand da die kleine Katze. Sie forderte Aufmerksamkeit und bestimmte höchst eigenwillig ihren Schlafplatz. Sie zerkratzte die Möbel, wollte hinaus in den Garten. Aber: Das Leben war eingezogen und meine Nachbarin fand es wunderbar. Und besser noch. Sie beschloss, aktiv an ihrer eigenen Veränderung zu arbeiten, lächelte morgens ihr Spiegelbild an. Sie fand heraus, dass es in ihrer Stadt Möglichkeiten gab, sich ehrenamtlich zu betätigen. Sie schaute sich um, fand aber nicht sofort das Richtige.
Die Kirchengemeinde lag am Boden, das Gemeinschaftsleben dort war mehr als dürftig. Sie ließ nicht locker und suchte weiter, bis sie entdeckte, dass in der nahe gelegenen Grundschule Menschen gebraucht wurden, die sich mit Kindern beschäftigten, die Deutsch lernen mussten. Das war’s. Jetzt hatte meine Nachbarin eine Katze und Menschen, die auf sie warteten. Die Blase war geplatzt. Wenn man es ganz groß sagen möchte: Glaube, Hoffnung und Liebe waren in ihrem Leben aus dem Dornröschenschlaf erwacht und brachten frischen Wind in ihren Tag.
Nicht nur einzelne Menschen, viele Gruppierungen leben wie in einer Blase und sind überzeugt davon, dass ihre Welt das Ganze sei. Sie sind in Ordnung, die anderen sind anders, deshalb gefährlich, irritierend. Glaube, Hoffnung und Liebe können in Blasen nicht gedeihen. Sie vertragen keine Haltungen, die ausgrenzen, akzeptieren keine spalterischen Scheinsicherheiten. Glaube, Hoffnung und Liebe wollen in Freiheit leben; jedes Leben braucht diese drei.
Christinnen und Christen verwurzeln sich bewusst in Glaube, Hoffnung und Liebe. Sie bauen auf die Treue Gottes und darauf, dass am Ende alles gut werden wird. Jesus von Nazareth, der Wanderprediger, auf dessen Leben und Tun sie sich beziehen, war ständig unterwegs, nicht nur äußerlich; auch innerlich war er ständig in Bewegung, lernte dazu. Er bezog Menschen ein, die am Rand standen, Frauen, Fremde, Kranke, Ausgestoßene und Reiche wie Arme. Gottesglaube will weit machen. Er sprengt genauso wie die Hoffnung jede Blase.
Und die Liebe? Da steht die kleine Katze vor der Tür. Sie interessiert sich nicht dafür, ob ihre neue Bezugsperson Sicherheit der Freiheit vorzieht, ob sie sich in einer engen Welt eingerichtet hat oder nicht. Sie interessiert sich dafür, ob sie eine neue Heimat bekommt, ein neues Zuhause. Wenn ja, dann wurde für sie die Liebe ein Mensch.