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Die Ehebrecherin: Der vorübergehende Gott

Morgenandacht, 23.03.2023

Vera Krause, Köln

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Es gibt Menschheitsthemen. Krieg und Frieden gehören dazu – aber auch Ehe und Ehebruch. Seit Menschen die Ehe eingehen, bewegt sie der Umgang damit. Es muss alles seine Ordnung haben! Weltliche oder religiöse Gesetze dazu finden sich seit tausenden von Jahren quer durch die Kulturräume unserer Welt. Literatur, Klatsch und Tratsch kommen hinzu. Nicht erst in jüngster Zeit. Vor allem der Ehebruch ist es, der die Gemüter bewegt – und die Moralapostel aller Zeiten hervorlockt. So ist es auch im Neuen Testament der Bibel.

Der Evangelist Johannes hat dort eine Szene festgehalten, die meinen Atem bis heute stocken lässt: Jesus aus Nazaret hat sich da frühmorgens in den Jerusalemer Tempel aufgemacht. Es dauert nicht lange, bis sich viel Volk um ihn versammelt, um ihm zuzuhören. Die, die das nicht gern hören, sind auch schon da: Schriftgelehrte und Pharisäer. In ihrer Fehde gegen Jesus, der ihre mächtigen Kreise stört, treiben sie eine vermeintliche "Ehebrecherin" vor sich her. Im Hof der Männer mutterseelenallein wird die junge Frau schutzlos zur Schau gestellt wegen etwas, woran man allein gar nicht schuldig werden kann. Leichte Beute. Benutzt als "Fall", der gebraucht wird, um eigentlich gegen Jesus vorzugehen.

Nein, einen Freispruch würde es nicht geben. Der Tatbestand ist doch eindeutig! Nach dem Gesetz ist diese Frau zu steinigen. So steht es in der Heiligen Schrift. – "Und du, Jesus? Was sagst du dazu?"

Jesus sagt lange nichts… Und dann folgt ein brillantes Konfliktmanagement jenseits jeder moralischen Überheblichkeit. Jesus geht es nicht um Moral. Es geht ihm auch nicht um Recht und Gesetz. Ihm geht es um eine Zukunft, in der das Leben aller Beteiligten gut weitergehen kann, im besten Fall gelingen. Selbst hier. Dafür spricht er nur einen einzigen Satz. Einen Satz, der die Verurteiler als Personen anspricht, nicht ihre Rechtsauffassung: "Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein" (Joh 8,7).

Durch zweitausend Jahre Überlieferungsgeschichte hindurch ist zu spüren, wie sehr diese Worte treffen. Von einem Moment auf den anderen sind alle Beteiligten aus ihren Rollen herausgenommen. Es stehen nicht mehr länger Ankläger und Angeklagte, nicht Verurteiler und längst Verurteilte voreinander, sondern Mitmenschen von Angesicht zu Angesicht.

Die Schriftgelehrten und Pharisäer werden an einem empfindlichen Punkt an ihre eigene Gesetzestreue erinnert, die niemand unter ihnen je vollkommen eingehalten hat. Und die schon fast dem Tod preisgegebene "Sünderin" wird zur "Spur des vorübergehenden Gottes" (Emmanuel Lévinas). Sie erinnert daran, dass sie doch alle Menschen mit Schwächen und Fehlern sind. Darum gilt Gottes barmherzige Liebe jedem – oder keinem.

"Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein." Jesu Worte entwaffnen. Obwohl sie tief treffen, entschärfen sie die Situation, weil sie alle Beteiligten gleichermaßen treffen. Jeder und jede ist im Kern der eigenen Person angesprochen. So erhalten alle die Chance, ganz persönlich zu antworten.

Die Geschichte im Johannesevangelium geht gut aus. Die Verurteiler schauen in ihre eigenen Abgründe, wenden sich schweigend ab und gehen nach Hause. Und auch die junge Frau verlässt aufrecht und frei den Schauplatz des Geschehens. Doch das ist nicht alles. Was bleibt, ist nicht allein die Erfahrung, gerade noch davongekommen zu sein. Beiden, den vermeintlich "Gerechten" wie der "Sünderin" wurde eine viel tiefere Erfahrung geschenkt – und mit ihnen auch mir, heute: nämlich der barmherzigen Liebe Gottes begegnet zu sein.

Über die Autorin Vera Krause

Vera Krause, Jahrgang 1970, studierte Kath. Theologie, Politikwissenschaft und Soziologie in Münster und Mumbai/Indien. Nach wissenschaftlichen Tätigkeiten an der Universität und im Verlagswesen, war sie viele Jahre in den Bereichen Weltkirche und im Religionsdialog tätig: als Referentin für Bildung und Pastoral bei MISEREOR, als theologische Grundsatzreferentin in der Geschäftsführung von ADVENIAT sowie als Leiterin der Stabsstelle für weltkirchliche Aufgaben und den Dialog mit den Religionen im Erzbistum Berlin.

Heute leitet Vera Krause die Diözesanstelle für den Pastoralen Zukunftsweg im Erzbistum Köln. Sie wurde im Jahr 2008 als erste katholische Frau mit dem Deutschen Ökumenischen Predigtpreis ausgezeichnet; zahlreiche Veröffentlichungen, Tagungen und (Exerzitien-)Kurse mit den Schwerpunkten Theologie des Gebets und des geistlichen Lebens, Bibel, Mystik und Kontemplation, Weltreligionen, kirchliches Leben.

Kontakt: vera.krause@erzbistum-koeln.de www.erzbistum-koeln.de