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"Abraham, du druckst umsunst"

Morgenandacht, 23.09.2023

Wolfgang Drießen, Trier

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"Leben ist das, was passiert, während du dabei bist, andere Pläne zu machen."

Das singt John Lennon in dem Lied "Beautiful Boy". Recht hat er! Denn das kennt wahrscheinlich jeder. Da freust du dich auf den lang ersehnten Urlaub, alles ist geplant und dann wirst du krank. Eine neue Arbeitsstelle ist gefunden, aber dann macht die Firma pleite. Enttäuschte Liebe, unheilbare Krankheit, plötzlicher Tod: Die Liste lässt sich endlos fortsetzen. Den Menschen, der an einen Gott glaubt, stellt dieses Leben vor ein zusätzliches Rätsel: Was soll ich von einem Gott halten, der solche Dinge zulässt?

Je älter ich werde, desto unklarer wird deshalb mein Bild von Gott. Zu viele Fragen bauen sich auf. Und ich merke, dass auch die Bibel dieses Problem kennt. Und deshalb sagt sie nicht einfach: So und so ist Gott und nicht anders. Sie erzählt Geschichten über die Beziehung zwischen Gott und den Menschen.

Eine davon ist die von Abraham. Dem erfüllt Gott seinen größten Wunsch: er schenkt ihm einen Nachkommen. Ein Wunder, denn in hohem Alter bekommen er und seine Frau Sara einen Sohn, Isaak. Man kann sich nur vorstellen, welche Freude da geherrscht hat. Welche Liebe, welche Fürsorge sie über Jahre dem Kind und dem Heranwachsenden gegeben haben. Und dann passiert etwas ganz Unerhörtes: Gott verlangt von Abraham seinen Sohn zurück. Er soll den Jungen eigenhändig opfern. Absolut unverständlich, grausam, unerhört! Trotzdem macht sich Abraham auf, um diese Anordnung Gottes auszuführen. Doch im letzten Moment verhindert Gott selbst die Tat.

Zwei Deutungen dieser Wahnsinnsgeschichte liegen auf der Hand. Die eine: Gott will keine Menschenopfer. Die waren damals in anderen Kulturbereichen durchaus an der Tagesordnung. Die andere: Wer mit Gott unterwegs ist in seinem Leben, der muss mit allem rechnen. Rätselhaft, umständlich sind seine Wege.

Aber wenn ich mich in meinem Leben einmal wirklich komplett verrannt haben sollte, wenn mir alles ausweglos vorkommen sollte wie Abraham mit dem Messer in der Hand, der seinen Sohn umbringen soll – dann denke ich hoffentlich an das Bild, das mir vor vielen Jahren in Trier in einer Apotheke aufgefallen ist. Das Bild erzählt die Geschichte von der verhinderten Opferung Isaaks auf seine ganz eigene Weise.

Denn der Maler hatte ganz sicher Fantasie und vor allem eine gehörige Portion Humor. Er hält genau den dramatischsten Augenblick fest. Nur – Abraham hält kein Messer in der Hand. Mit beiden Händen umfasst er eine alte Vorderladerflinte, kneift ein Auge zu, zielt genau auf seinen Sohn und will Isaak erschießen. Da greift Gott ein, im allerletzten Moment, Abrahams Finger zuckt schon am Abzug. Und Gott in Gestalt eines kleinen, nackten Engelchens mit Flügeln schwebt ungeniert über der dramatischen Szene – und pinkelt der Flinte in hohem Bogen genau aufs Flintenschloss. Und darunter steht der schöne Spruch: "Abraham du druckst umsunst – ein Engel dir aufs Zündloch brunzt". Was für ein Bild: kraftvoll und lebendig, Drama pur, und doch voller Humor und Lebensfreude.

Doch wie lautet die biblische Quintessenz dieser Geschichte? Vielleicht so: Gott bleibt rätselhaft, widersprüchlich, er macht Abraham Angst und fängt ihn dann wieder auf. Isaak überlebt, Abraham lernt dazu. Vielleicht lernt sogar Gott dazu. Aber vielleicht hat Gott auch von vornherein geplant, Isaak leben zu lassen. Wir Menschen wissen nie so genau, was Gott will. Wir sollten uns unserer Gottesbilder nie zu sicher sein.

Abraham hat trotz allem Gott vertraut. Das ist das größte Wunder. Er hat dem menschenfreundlichen Gott vertraut, dem auch ich auf seinen rätselhaften und verschlungenen Wegen gern vertrauen möchte. Und – um im Bild zu bleiben – gerade jetzt wünsche ich ihn mir genau so: Als Engel, der über allem schwebt – und richtig gut zielen kann.

Über den Autor Wolfgang Drießen

Wolfgang Drießen ist Diplomtheologe und Pastoralreferent im Bistum Trier. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er beim SWF in Baden-Baden sowie im "Theologenkurs" (1984) im Institut zur Förderung publizistischen Nachwuchses (ifp) in München. Seit 1986 arbeitet Drießen in der Rundfunkarbeit des Bistums Trier in Saarbrücken, seit 1997 ist er der Rundfunkbeauftragte beim SR. In seinen Sendungen versucht er, Mut zum Leben zu geben und Gott als den zu suchen, in dessen Hand man sich fallen lassen kann, wenn es nötig ist.

Kontakt: (0681) 9068 241 // rundfunkarbeit.sr@bistum-trier.de