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Sternensuppe

Morgenandacht, 24.01.2024

Mathias Albracht, Münster

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Im Advent hatte es mich an einen bizarren Ort verschlagen. Ein befreundeter Mönch war aus dem Münsterland in ein neues Kloster eingeladen worden und sollte dort eine Leitungsaufgabe übernehmen. Es war das Kloster Georgenberg im Tiroler Karwendelgebirge. Vor über tausend Jahren bauten dort fromme Einsiedler kleine Hütten auf eine – man kann es gar nicht anders sagen – Felsnadel in das schroffe Gestein eines verwinkelten Seitentals am Inn. Bald gründete sich eine Wallfahrt an diesen Ort. Und bis heute leben dort Mönche.

Ich habe meinen Freund dort besucht. In der Nacht nach meiner Ankunft gab es einen heftigen Schneesturm. Und als ich am Morgen meine Zellentür zu einer außen laufenden Galerie öffnete, fand ich mich in einer Winterlandschaft wieder, wie der amerikanische Regisseur Wes Anderson sie nicht hätte besser für einen seiner poppigen Filme konstruieren können. Die Hänge um das Kloster auf der an einigen Seiten abfallenden Felsnadel waren im Schneegestöber kaum zu erkennen. Hier und da manövrierten sich Gämsen durch die Szenerie.

Im Refektorium, dem Speisesaal der Mönche, ist es üblich, eine Tischlesung zu hören. So eine Tischlesung soll meistens erbaulich sein und das lange spirituelle Leben von Mönchen und Nonnen in Klöstern inspirieren. In heutigen Zeiten kann das durchaus ein Hörbuch sein. So war es auch in dem kleinen Felsenkloster mitten im Schneesturm. Zur wärmenden Grießnockensuppe erklang die Stimme des Vorlesers und wir hörten ein Buch über zeitgenössische Astrophysik und neueste Erkenntnisse in der Erforschung schwarzer Löcher. Während ich die Grießnocken meiner Suppe zerteilte, tauchten wir ab in die Welt stellarer Ereignishorizonte, in die Mitte der Sternenregion Saggitarius A* und in die Kontrollräume entferntester Radioteleskope eifriger Wissenschaftler in Arizona oder am Südpol. Die Mönche hörten gebannt zu. Und das Buch durfte jeden Tag etwas länger laufen, als es nötig gewesen wäre.

Während sich das Universum mit vermutlich Lichtgeschwindigkeit ausdehnt, ergründen Forscher die Echos seiner Ursprünge und Mönche hören gebannt Berichte darüber über dampfender Grießnockensuppe in mittelalterlichen Klöstern.

Das sind so Momente, in denen ich meine Religion und meinen Glauben besonders mag. Seit Jahrtausenden ist es gut-katholisch und christlich, dass uralte Traditionen und das tagesaktuelle Erforschen und Erkennen des Kosmos Hand in Hand gehen können. Den Kosmos zu erforschen ist eine Spurensuche auf den Fährten Gottes. Der große Theologe Thomas von Aquin bezeichnete Gott nicht umsonst als den "Gubernator rerum", den Ordner aller Dinge.

So ist es möglich, sich an der Wissenschaft zu erfreuen und sogar ganz vorne mit dabei zu sein. Die Urknalltheorie, sie stammt in ihren Wurzeln zum Beispiel aus der Feder eines Jesuitenpriesters, Georges Lemaitre. Glaube und Wissenschaft reichen sich die Hand in der Neugier und im Erwarten des Größeren. So kann ich das für mich sagen und glauben.

Abends sind wir zum Gebet in der Chorkapelle. Wir schlagen die klösterlichen Gebetbücher zum Abendgebet auf und singen:

"Der Sterne Schöpfer, milder Gott,
du unsres Glaubens ew’ges Licht,
Christus, Erlöser aller Welt,
erhöre gnädig das Gebet."

Ein Hymnus aus dem 4. Jahrhundert erfüllt die Kapelle in gregorianischem Gesang. Ein staunender Betrachter zu bleiben und die Welt sehen als etwas Unfertiges, etwas, das noch mehr zu bieten hat, das ist etwas, das die Neugier schürt und die Sinne schärft.

Es lohnt sich, auch gerade in der grauen Suppe des späten Winters jemand zu bleiben, der die Dinge freudig erwartet und sich vom Anbrechen und Erkennbar-Werden schöner Sachen erfreuen lässt. Das kann man von Astrophysikern lernen.
Oder von Grießnocken-essenden Mönchen.

Über den Autor Mathias Albracht