Newsletter

Das Wichtige ist jetzt

Morgenandacht, 24.02.2024

Peter-Felix Ruelius, Schlangenbad

Beitrag anhören

Weihnachten liegt nun genau zwei Monate zurück, die Jahresuhr des kirchlichen Kalenders steht jetzt auf Fastenzeit. Aber noch einmal darf ein Rückblick sein auf die festlichen Weihnachtstage und ihre vollen Tische, auf Fest und Essen. Und darauf, wie schwer das im Magen liegen kann.

Der französische Schriftsteller Alphonse Daudet erzählt eine alte Legende. Im siebzehnten Jahrhundert soll sie entstanden sein und sie rankt sich geheimnisvoll, wie sollte es anders sein, um die Ruinen einer großen Burg und um die geheimnisvollen Lichter, die man manchmal dort zu sehen glaubt, und um einen feinen Klang, wie von Glocken.

In der Legende geht es um Folgendes: Der Priester auf der Burg bereitet sich auf den Gottesdienst am Heiligen Abend vor. Zur Feier kommen nicht nur der Schlossherr und seine ganze Familie, dazu kommen auch alle benachbarten Herzöge und Grafen.

Mitten in den heiligen und stillen Vorbereitungen verdirbt allerdings ein groteskes Spektakel die Andacht: Der Küster erzählt dem Priester, was es am Abend nach dem Gottesdienst alles zu essen geben wird. Er erzählt von zwei mächtigen Puten, bis an den Rand mit Trüffeln gefüllt; er erzählt von den Fasanen und den Hühnern, von Forellen und Karpfen, von Wein und Likör und der festlichsten aller Tafeln, die es auf der Burg je gegeben hat. Und während sich der Geistliche nun auf die Messe vorbereitet, dringt der Klang der Töpfe und Pfannen zu ihm und ab und zu weht ein Duft von Braten aus der Schlossküche herüber in die Sakristei.

Die Erwartung des Festessens bringt den armen Priester dann dermaßen aus dem Konzept, dass er wie ein Wahnsinniger durch die heiligen Riten hetzt, von Gebet zu Gebet, damit nur bald Wirklichkeit wird, was er in Erwartung und Fantasie vor sich sieht. Er hat nur noch einen Gedanken: Essen, essen, essen. Er stolpert durch die Gebete, verhaspelt sich, bis alle nur noch den Kopf schütteln und niemand mehr weiß, worum es gerade geht. Endlich ist das letzte Amen gesprochen. Die Messe ist aus und das Fest kann beginnen.

Das Traurig-Komische: Der ungezügelte Appetit bringt den Priester nicht nur um seinen Verstand, sondern auch um sein Leben. Er stirbt mit der Fleischgabel in der Hand mitten in der Völlerei.

Als er in den Himmel kommt, ist sein Leiden allerdings nicht vorbei. Er soll erst dann endgültig in die himmlische Herrlichkeit kommen, wenn er über dreihundert Jahre dem lieben Gott zurückgegeben hat, was er ihm genommen hatte: Die würdige Gestaltung des Weihnachtsgottesdienstes. Und so klingen bis heute verweht die Glocken über das Tal und blinken die Lichter in der alten Ruine, wenn der Weihnachtsabend naht. Denn jährlich muss der verstorbene Priester die Feier des Gottesdienstes nachholen, bis die dreihundert Jahre um sind.

Die drastische Legende hat nun tatsächlich einen in der Fastenzeit nachvollziehbaren Kern, auch nach hunderten von Jahren, oder sie hat ihn heute erst recht. Wir leben heute mehr als die versammelte Festgesellschaft auf der Burg in der Provence in einer unglaublichen Ungleichzeitigkeit. Ständig erleben wir Momente mit dem verheißungsvollen Blick auf das, was nun noch alles kommen kann. Im Winter an den Sommer denken, den Urlaub planen. Morgens schon mit den Gedanken beim Meeting am Abend, schnell noch auf Whatsapp verabredet. Wir sind zu Lebenshetzern geworden, immer schon einen Schritt weiter als wir leben. Bis wir am Ende da sind, wo wir dann sein wollen, taucht schon wieder das Nächste und Übernächste auf.

Mir sagt die Legende: Das Wichtige ist jetzt. Der Mensch, dem ich zuhöre. Das Fest, das ich jetzt feiere, die Musik, die ich jetzt höre, das Buch, das ich jetzt lese. Das Wichtige ist jetzt. Und auch wenn keine dreihundert Jahre Nachsitzen drohen: Die wertvollen Momente der Gegenwart sind es allemal wert, ihnen die ganze Aufmerksamkeit zu schenken.

Über den Autor Dr. Peter-Felix Ruelius

Dr. Peter-Felix Ruelius, geboren 1964, ist Theologe und leitet gemeinsam mit einer Kollegin den Bereich Christliche Unternehmenskultur / Ethik bei den Franziskanerbrüdern vom Hl. Kreuz. Als Trainer, Supervisor und Coach begleitet er Menschen in ihren beruflichen Herausforderungen und Entwicklungen. Peter-Felix Ruelius war lange Zeit als Religionslehrer in Fulda tätig und arbeitete mehrere Jahre in der Lehrerfortbildung.