In den biblischen Erzählungen um Jesus von Nazaret taucht sie auf, wie aus dem Nichts: die "kanaanäische Frau" ohne Namen. Einzig ihre Herkunft geht in die Geschichte ein, wie sie der Evangelist Matthäus überliefert. Aus Kanaan zu sein bedeutet im Alten Israel jener Zeit allerdings nichts Gutes. Denn es heißt, aus einem der geradezu verhassten und als religiös minderwertig angesehenen Nachbarvölker zu kommen – und dann auch noch als Frau allein ohne jeden Stand in der Gesellschaft. Doch das ist noch nicht einmal alles. Weil ihre Tochter – wie die Bibel berichtet – von einem Dämon gequält wird, ist die Frau selbst in ihrer Heimat ganz an den Rand geraten. Man meidet sie, um nicht selbst angesteckt zu werden.
Vieles daran könnte eine Geschichte von heute sein: Eine alleinerziehende Mutter eines schwerkranken Kindes trägt eine besondere Last. Zunehmend allein. In ihrer Situation erschöpfen sich die Geduld und die Hilfsbereitschaft anderer Menschen. Unsicherheit und Überforderung greifen um sich. Man schaut hin, um möglichst schnell wieder wegzusehen. Das arme Kind! Die arme Frau! Wie schrecklich! Berührungsängste auf der einen Seite, Rückzugstendenzen auf der anderen. Und dazu die finanziellen Belastungen, die zu viel persönlichem Verzicht führen.
Solch eine Frau ist es, die sich für eine Begegnung mit Jesus nicht nur aus ihrem Haus, sondern sogar aus ihrer Heimat heraustraut. Die Szene, die folgt, hat es in sich: Schreiend läuft die Frau hinter Jesus her. So kreuzen sich die Wege des angesehenen israelitischen Mannes und der als unrein geltenden heidnischen Frau. Mehr ist es erst einmal nicht. Denn Jesus kriegt gar nichts mit von ihr – oder er tut zumindest so. Seinen Jüngern ist sie da mit ihrem Geschrei schon lästig. Sie wollen sie so schnell wie möglich loswerden. Doch die Frau lässt nicht locker: "Hab‘ Erbarmen mit mir, Herr … Meine Tochter wird von einem Dämon gequält … hilf mir!" (Mt 15,22.25).
Jesus hat zunächst kein einziges Wort, nicht mal einen Blick für die Frau und ihr Anliegen übrig. Und doch ereignet sich in diesem Moment Entscheidendes für die gesamte Geschichte des Christentums. Die Exklusivität von Jesu Sendung wird angefragt: Wofür bist du da, Jesus? Wem alles gilt Gottes guter Wille?
Jesus selbst braucht einen Moment, bis er der heidnischen Frau zum Dialogpartner wird. Zunächst lehnt er schroff ab: "Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt! Es ist nicht recht, das Brot den Kindern wegzunehmen und den Hunden vorzuwerfen!" (Mk 15,24.26).
Herabwürdigender geht es nicht! Doch die als Hund beschimpfte Frau duckt sich nicht weg. Ohne für sich die Rolle des Hundes anzunehmen, greift sie dennoch Jesu Worte auf. Sie präzisiert seine Rede sogar – und widerspricht ihm direkt: "Ja, Herr! Aber selbst die Hunde essen doch von den Brotkrumen, die vom Tisch ihrer Herren fallen" (Mt 15,27). Jesus bringt diese Antwort zum Staunen – und er lässt sich vom Glauben und der Intelligenz der kanaanäischen Frau bewegen: "Was du willst soll geschehen. Und von dieser Stunde an" – so berichtet die Bibel – "war ihre Tochter gesund" (Mt 15,28).
Das ganz frühe Christentum bekommt ab diesem Moment die Chance, mit Jesus zu lernen, dass Gottes Wirken keine Grenzen kennt und keinen einzigen Menschen ausklammert.
Ich lerne außerdem, wie sehr es sich lohnt, ganz genau hinzuschauen und hinzuhören, damit ich nicht irgendwann verpasse, von wem ich lebenswichtiges lernen kann.