"Bleib vor allem wie du bist!"
Meine Freundin feiert ihren 50. Geburtstag und mit einer großen Portion Herzlichkeit in der Stimme überreicht ein Gast ihr diesen Wunsch: "Bleib vor allem wie du bist!" Ich kenne meine Freundin lang genug, um schon zu ahnen, wie sie auf diesen Wunsch antworten wird. "Danke, aber ich fürchte daraus wird nichts", sagt sie mit einem Lachen.
Es gibt Menschen, die haben die Gabe, Veränderungen in ihrem Leben nicht nur anzunehmen, sondern zu feiern. Meine Freundin ist ein solcher Mensch. Voller Energie startet sie in ihren neuen Lebensabschnitt. Mir tut es gut, Freunde zu haben, die lieben und schätzen, was ihnen vertraut ist. Das hilft auch mir, anstehende Veränderungen leichter anzugehen. Später am Abend schauen wir uns Bilder und Erinnerungen aus fast 40 Jahren an: gemeinsame Erlebnisse, Schönes und Schweres, Leichtes, Heiteres aber auch schmerzvoll Trauriges. Es wird viel gelacht und zwischendurch auch geweint. Am Ende ihres Festes verabschiedet mich meine Freundin und sagt. "Für mich beginnt etwas Neues. Aber innezuhalten und sich zu erinnern, das hat gutgetan."
Geburtstage und Jubiläen sind wie geschaffen, um Vergangenes zu würdigen und Neues zu begrüßen. Auch Jahrestage, ja sogar Sterbedaten können solche Anlässe sein. Wenn ich ahne, dass in meinem Leben Veränderungen anstehen, merke ich, dass ich Zeit brauche, um mich an Vergangenes zu erinnern: Wo komme ich her, was hat mich geprägt?
Viele wertvolle Erfahrungen möchte ich am liebsten festhalten: Der Übermut und Leichtsinn eines Sommers, der mich bis heute daran erinnert, dass Aushalten und Disziplin nicht alles sind. Die Lebensfreude und Freigiebigkeit eines Menschen, der mir in meiner eigenen Knauserigkeit und Sparsamkeit so gut getan hat.
Aber auch die Bescheidenheit und Genügsamkeit eines Menschen, der Schweres durchgestanden hat. Solche Erinnerungen sind mehr als ein sentimentaler Rückblick in die Vergangenheit. Mit jedem Erinnern verdichtet sich die eigene Lebensgeschichte.
Heute ist Johannistag. In der christlichen Tradition wird am 24. Juni des Täufers Johannes gedacht. "Sommerweihnacht" haben es frühere Generationen auch genannt. Die "24" teilt sich das Johannesfest mit dem Weihnachtsfest. Das passt, denn Johannes der Täufer wird in der Kirche als der Vorläufer Jesu gefeiert. Johannes hatte den Mut, zur Umkehr aufzufordern, er hat die Menschen mit markigen Worten dafür begeistert, Veränderung für möglich zu halten. Johannes tat dies in der festen Erwartung, dass ein Mensch kommen werde, der auf besondere Weise von Gott erzählt. Der vor allem durch seine eigene Person und seine Art zu leben Gottes Liebe zu den Menschen erlebbar macht.
Auf vielen Gemälden ist Johannes darum als einer dargestellt, der mit einem langen Finger auf Jesus zeigt. Auf den, der das verkörpert hat, wonach Menschen sich so oft sehnen: Dass ich mich selbst genauso wie meinen Mitmenschen als von Gott geliebtes Geschöpf sehen kann. Dass ich so sein und bleiben darf, wie ich bin, genauso wie mein Nächster so sein und bleiben darf, wie er ist und dabei trotzdem immer wieder neu anfangen kann im Wissen darum, niemals aus Gottes Liebe herauszufallen.
Heute, am Johannistag, werfe ich einen Blick zurück und einen Blick nach vorn. Das Vertraute ist mir kostbar geworden. Jetzt darf ich daraus Neues machen. Neues, das auch den nach mir Kommenden kostbar wird.