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Maria Magdalena – Mut und Liebe

Morgenandacht, 24.07.2023

Peter Felix Ruelius, Schlangenbad

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Vorgestern hat die Kirche eine Heilige gefeiert, die wohl zu den berühmtesten Frauen des Christentums zählt: Maria Magdalena. Laut Bibel gehört sie zu den Frauen, die Jesus bis unter das Kreuz folgen. Und nach der Auferstehung Jesu ist sie der erste Mensch, dem der Auferstandene begegnet. Manche sehen in Maria Magdalena auch die Frau, von der die Bibel erzählt, dass sie Jesus einmal die Füße salbt. Eine Sünderin – so nennen sie die Männer, die dabei sind.

Im äußersten Südwesten der Bretagne findet man in der Gemeinde Penmarch eine kleine Kapelle mit einer langen und wechselvollen Geschichte. Ihre Patronin ist eben jene Maria Magdalena. Zu einer kleinen Sehenswürdigkeit wurde die Kapelle vor wenigen Jahrzehnten durch einen Zyklus von Glasfenstern von Jean Bazaine, einem wichtigen französischen Künstler des 20. Jahrhunderts. In ihnen wird der Maria Magdalena ein berührendes Denkmal gesetzt.

Ich finde das passt: dass eine Kapelle, die den Namen von Maria Magdalena trägt, so nah an der Grenze liegt, an der Grenze, die das Land vom offenen Meer trennt. Denn um das Überwinden von Grenzen geht es in ihrem Leben tatsächlich. Ich möchte annehmen, dass diese Frau, die im Gefolge Jesu zu finden ist, tatsächlich die Frau ist, die nach der Überlieferung Jesus die Füße salbt. Das Lukasevangelium der Bibel schildert diese Szene sehr eindrücklich: Als Jesus im Haus eines Pharisäers bei Tisch war, kam sie mit einem Alabastergefäß voll wohlriechendem Öl dazu, trat von hinten an ihn heran. Dabei weinte sie und ihre Tränen fielen auf seine Füße. Mit ihrem Haar soll sie dann die Füße Jesu getrocknet und geküsst haben, und dann seine Füße mit dem wertvollen Öl gesalbt.

Was für eine Grenzgängerin! Denn was in der Bibel als eine berührende Anekdote gelesen werden kann, ist doch eine Folge von unglaublichen Grenzüberwindungen. Da ist einmal die Grenze der eigenen Scham und des Zweifels: Wie soll sie diesem Mann begegnen, von dem alle sagen, dass er ein Heiliger ist? Wie soll sie ihm gegenübertreten? Das ist der erste, vielleicht der größte Schritt. Zu vertrauen, dass sie einem Menschen begegnen wird, der sie – die vermeintliche Sünderin – nicht verurteilt, nicht fortschickt. Ich stelle mir vor, wie sie sich auf den Weg macht mit kostbarem Öl und nun durch eine Stadt geht, zu dem Haus, in dem Jesus zu Gast ist.

Die Tür dieses Hauses, das sie betritt, ist eine weitere Grenze: Es kann sein, dass Verachtung sie erwartet, Unverständnis. So kommt es ja auch. Aber die Frau überwindet auch diese Grenze, schert sich nicht um die Blicke und die Herablassung der versammelten wichtigen Männer. Und dann: tatsächlich auf Jesus zugehen, ihn berühren, ihm die Füße salben – was für ein Risiko, was für ein heikler Moment. Zurückweisung, Verachtung – all das wäre möglich.

Die Ablehnung des Gastgebers und der anderen Gäste kann Jesus wahrscheinlich an ihren Gesichtern ablesen. Und sagt schließlich: Ihr sind viele Sünden vergeben, weil sie viel geliebt hat.

Es ist aus dem Abstand von so vielen Jahrhunderten kaum zu ermessen, was für eine Kraft und Sehnsucht in dieser Begegnung liegen muss. Und was für einen Mut es gekostet haben mag, die Grenzen der Gesellschaft zu überwinden. Grenzen und Mauern, die Menschen unsichtbar errichten, sind oft unüberwindlicher als die physischen Grenzen.

"Weil sie viel geliebt hat", – das ist die Antwort Jesu auf die Grenzen, die Menschen errichten. Mut und Liebe – allein damit konnte Maria Magdalena sie überwinden.

Über den Autor Peter-Felix Ruelius

Peter-Felix Ruelius, geboren 1964, ist Theologe und leitet den Zentralbereich für christliche Unternehmenskultur und Ethik bei der BBT-Gruppe (Barmherzige Brüder Trier gGmbH). Als Supervisor und Coach begleitet er Menschen in ihren beruflichen Herausforderungen. Vorher war Peter-Felix Ruelius fünfzehn Jahre Religionslehrer in Fulda und arbeitete mehrere Jahre in der Lehrerfortbildung.