In der Gluthitze des Mittags durchqueren sie die karge Landschaft aus Stein und Geröll. Die drei Männer sind schon stundenlang unterwegs. Ihre Trinkbeutel aus Ziegenleder sind längst leer und wenn sie nicht bald eine Siedlung oder eine Karawane finden, werden sie ernsthafte Probleme bekommen. Da entdeckt einer der drei weit entfernt eine Landmarke, die ihnen Zuversicht gibt. Dort hat ein alter Wanderhirte seine Zelte schon eine Weile aufgeschlagen – unter den knorrigen alten Eichen von Mamre. Hier gibt es Schatten, Wasser und etwas Gras für die Tiere. Der Nomade stammt nicht von hier, seine Heimat liegt weit im Osten.
Mit seiner Familie und seiner Herde zieht er schon viele Jahre durchs Land, und er will auch weiterziehen, wenn es sein muss. Aber jetzt gerade ist hier ein guter Ort. Da sieht er die drei Männer kommen. Ohne Reittiere oder Herde, was hier in der Gegend ungewöhnlich ist. Wo kommen sie her? Wo wollen sie hin? Der alte Mann bewegt diese Fragen in seinem Kopf, aber er weiß darauf keine Antworten. Sie sind auch nicht so wichtig, wichtig ist nur: "Jetzt sind sie hier. Hier bei mir in Mamre."
"Seid willkommen in meinem Zelt! Ich lasse euch etwas Wasser holen. Ruht euch erstmal aus!" Der Hirte geht ins Zelt hinein und bittet seine Frau, frisches Fladenbrot zu backen. Dann läuft er zu seiner Herde, sucht ein gutes Kalb aus und weist seinen Knecht an, daraus eine Mahlzeit zu bereiten.
Diese Geschichte ist in der Bibel überliefert [1]. Sie erzählt vom Wanderhirten Abraham und seiner Frau Sara, den Stammeltern des Volkes Israel. Ihre Gastfreundschaft ist beispielhaft. Gäste zu beherbergen und zu bewirten ist ein ungeschriebenes Gesetz. Vielleicht, weil man in unwirtlicher Landschaft mehr aufeinander angewiesen ist. Wer heute selbst noch Gastgeber ist, kann morgen als Gast auf einen Gastgeber angewiesen sein. Aber Gastfreundschaft geht über ein reines Kalkül weit hinaus: Wenn wir uns einander zuwenden, wenn wir gastlich und offen unser Leben teilen, wenn wir einander vertrauen, entsteht eine Gemeinschaft, die über uns selbst hinausreicht.
Die drei Gäste in der Bibel lassen sich nicht bloß bewirten, sie haben auch etwas mitgebracht. Nichts Materielles, sondern eine wichtige Nachricht für Abraham und Sara. Sie verheißen dem alten Ehepaar einen Sohn. Die beiden können das kaum glauben, sie sind schon so alt. "Sara erging es nicht mehr, wie es Frauen zu ergehen pflegt", so umschreibt die Bibel etwas verschämt das Ende der Fruchtbarkeit. Aber für Gott ist nichts unmöglich, und so geschieht das Wunder: Sara bringt wirklich diesen verheißenen Sohn zur Welt. Abraham und Sara freuen sich sehr, ein Kind bedeutet Zukunft. Es wird groß, bekommt wieder Kinder und Kindeskinder, ein ganzes Volk. Gott sagt später zu Abraham: "Deine Nachkommen mache ich so zahlreich wie die Sterne am Himmel und die Sandkörner am Meeresstrand"[2]. Abraham und Sara verstehen erst im Rückblick, dass sie zusätzlich zu den drei Fremden auch Gott selbst in ihrem Zelt bewirtet haben. Für den Glaubenden könnte das sogar heißen, dass die Gruppe der drei Gäste Gott selbst gewesen ist, incognito sozusagen.
Jedenfalls – und das hilft auch heute noch: Wer seine Tür und sein Herz für Gäste öffnet, der darf mit Geschenken rechnen. Mit neuen Freundschaften, mit unerwarteten Erfahrungen, mit einer neuen Zuversicht. Mit den Spuren Gottes selbst. Mitten unter den Gästen.
[1] Gen 18, 1-15.
[2] Gen 22, 17 (GN 2018).