Newsletter

Maria, die Mutter Jesu: Menschwerdung

Morgenandacht, 25.03.2023

Vera Krause, Köln

Beitrag anhören

Heute, genau neun Monate vor Weihnachten, feiert die Kirche das nicht allzu bekannte Hochfest der "Verkündigung des Herrn". Viel bekannter ist die biblische Szene, die sich damit verbindet: Der Engel Gabriel erscheint der jungen Maria aus Nazaret und läutet mit wenigen Worten ein Stück Weltgeschichte ein: "Fürchte dich nicht, Maria. Du wirst ein Kind empfangen, einen Sohn wirst du gebären: dem sollst du den Namen Jesus geben" (vgl. Lk 1,30-31).

In der Kunstgeschichte ist dieser Moment in Mosaiken, Ikonen, Kathedralfenstern, Skulpturen oder Gemälden tausendfach verewigt. Die Darstellung folgt fast immer einer Standardformel: Maria erscheint im Gegenüber mit dem Engel hörend und ergeben, in der Gestik zurückgenommen, fromm und still – manchmal auch ein klein wenig staunend. In der biblischen Überlieferung dagegen setzt die Gottesbotschaft des Engels eine ganz andere Dynamik in Gang.

Da beginnt Maria ein Gespräch mit dem Gottesboten. Sie fragt nach. Und erst dann willigt sie mit eigenen Worten ein: "Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast" (Lk 1,38). – Das ist ein unglaublich kraftvoller Moment: Maria sagt Ich. Sie sagt Ja dazu, den Höchsten in sich zu tragen und Jesus zur Welt zu bringen. Damit sagt sie Ja zu nie Dagewesenem und für sie selbst zu ganz und gar Unsicherem.

Was für eine Frau! Wach und mutig und voller Vertrauen in Gott und sein Wirken. Weder Maria noch ihr Verlobter Josef sind darin Marionetten eines himmlischen Spiels. Die Bibel legt Wert auf ihre selbstbewusste Zustimmung. Von beiden. Von Maria dazu, als zukünftige Gottesmutter nach vorne zu treten; von Josef dazu, als Mann hinter sie zurückzutreten. Beiden wird eine neue Rolle zugewiesen, in die sie unabhängig voneinander einwilligen. Maria wächst dabei über sich hinaus. Innerlich und äußerlich tief bewegt macht sie sich bald nach der Begegnung mit dem Engel allein auf, um im Bergland von Judäa ihre Verwandte Elisabeth zu besuchen.

Der Engel kündete nämlich auch von deren Schwangerschaft und der Geburt eines besonderen Kindes. Maria schaut nach ihr. Sie vergewissert sich. Und dann beantwortet sie das alles mit einem Lobpreis. Darin bringt sie ins Wort, wie sie Gott erfahren und was Gott in ihr ausgelöst hat. In Auszügen klingt das so:

"Meine Seele preist die Größe des Herrn und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter. Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut. Siehe, von nun an preisen mich selig alle Geschlechter. Großes hat der Mächtige an mir getan… Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben… Und er … denkt an sein Erbarmen … auf ewig." (vgl. Lk 1,46-55)

Mit Maria bekommen die alten Verheißungen von Gott eine unerwartete Konkretisierung: Gott ist nicht der, der teilnahmslos weit draußen in den Himmeln thront, sondern er liebt und leidet und nimmt Anteil am Schicksal der Menschen. Mit Maria schreibt Gott die Idee vom Himmel auf Erden fort. Zu dieser Idee gehört, dass Gott im Menschen wohnen, von ihm ausgetragen, in ihm geboren werden will.

Maria ist die Erste, die "Ja" dazu sagt, die aufsteht und losgeht und mutig ihr ganzes Leben investiert. Damit zeigt auch sie, worauf der Gott der Bibel als Ganzes hinauswill: dass in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen die Geringen bedeutender und die Bedeutenden geringer werden, damit sie sich endlich auf Augenhöhe begegnen können.

Heute, am Fest der "Verkündigung des Herrn" geht es also nicht allein um die Menschwerdung Gottes. Es geht auch um die Menschwerdung des Menschen.

Über die Autorin Vera Krause

Vera Krause, Jahrgang 1970, studierte Kath. Theologie, Politikwissenschaft und Soziologie in Münster und Mumbai/Indien. Nach wissenschaftlichen Tätigkeiten an der Universität und im Verlagswesen, war sie viele Jahre in den Bereichen Weltkirche und im Religionsdialog tätig: als Referentin für Bildung und Pastoral bei MISEREOR, als theologische Grundsatzreferentin in der Geschäftsführung von ADVENIAT sowie als Leiterin der Stabsstelle für weltkirchliche Aufgaben und den Dialog mit den Religionen im Erzbistum Berlin.

Heute leitet Vera Krause die Diözesanstelle für den Pastoralen Zukunftsweg im Erzbistum Köln. Sie wurde im Jahr 2008 als erste katholische Frau mit dem Deutschen Ökumenischen Predigtpreis ausgezeichnet; zahlreiche Veröffentlichungen, Tagungen und (Exerzitien-)Kurse mit den Schwerpunkten Theologie des Gebets und des geistlichen Lebens, Bibel, Mystik und Kontemplation, Weltreligionen, kirchliches Leben.

Kontakt: vera.krause@erzbistum-koeln.de www.erzbistum-koeln.de