Die Koffer sind ausgepackt. Die Wäsche liegt, nach weiß und bunt getrennt, vor der Waschmaschine. Im Flur steht noch eine Tüte mit Schuhen. Ich bin gerade wieder aus dem Urlaub in das vertraute Nachhause zurückgekehrt.
Noch vor einigen Stunden war ich umgeben von fremden Landschaften, Klängen, Gerüchen und Gewohnheiten. Von einer Welt, die mich mit ihrer Andersartigkeit fasziniert hat. Wo mich Entdeckerlust und Neugier an die unterschiedlichsten Orte geführt haben. Mal hat es mich früh morgens schon auf einen Berggipfel gezogen, mal haben wir bis spät in die Nacht dem sommerlichen Treiben in der Stadt zugesehen. Alte Herrenhäuser mit ihren weitläufigen Parks und kunstvollen Gärten haben uns für Stunden in eine andere Welt entführt. In kurzen Smalltalks und längeren Gesprächen ist es gelungen, sich in einer anderen Sprache zurecht zu finden. Worte und Ausdrücke zu finden für das Erleben, das mich gerade erfüllt.
Auf der Zugfahrt nach Hause habe ich nochmal einen letzten wehmütigen Blick über die Gegend geworfen, aus der ich mich dann Kilometer für Kilometer entfernte. Elemente aus der Landschaft verschmolzen mit den Bildern und Eindrücken der letzten Tage, die in meinem Kopf noch ganz lebendig waren. Irgendwann aber ähnelte das, was am Fenster vorbei zog, immer mehr den vertrauten Landschaften. Die Grünfärbung der Wiesen und Bäume, die Mauerwerke der Häuser, die Gestalt der Siedlungen mit ihren Kirchen, Feldern und Waldabschnitten. Das Zuhause kam näher.
Die Ankunft dort bedeutete schließlich, die Bewegung, die das Reisen so leicht und gleichzeitig so spannend macht, endgültig zu beenden. Wieder im Alltag anzukommen. Der übernimmt spätestens beim Auspacken der Koffer wieder die Regie: Wer macht die Wäsche? Wer räumt die Lebensmittel weg? Wer muss wann zum nächsten Termin? "Gut angekommen", schreibe ich an die Menschen, die auf diese Nachricht warten. Aber so ganz stimmt das noch nicht. In mir regt sich Wehmut über das, was ich verlassen habe. Mein Kopf und mein Herz sind immer noch auf Reisen.
Noch ein anderes Gefühl meldet sich. Schützend stellt es sich vor meine hin- und her reisenden Gedanken. Es ist die Sorge. Das Gefühl kenne ich gut. Zuverlässig meldet es sich, wenn es etwas zu beschützen gibt. Wenn etwas Zerbrechliches bewahrt werden will. Hier vor der Waschmaschine in der heimatlichen Wohnung irritiert es mich aber. Was muss hier beschützt werden? Hier, wo ich zuhause und in Sicherheit bin.
Nach seinen zahlreichen Reisen durch Europa schreibt der amerikanische Schriftsteller James Baldwin, er sei in Europa vielen Menschen begegnet. Sogar sich selbst.
Vielleicht ist es das. Meine Reise hat mir auch jene Entdeckungen beschert, die sich nicht in Fotografien oder Erinnerungsstücken festhalten lassen. Facetten meiner Persönlichkeit. Fähigkeiten, Leidenschaften, die ich mindestens ebenso gern entdeckt habe wie Berggipfel, Städte und Landschaften. Ich habe meine innere Landschaft ein Stück weiter erschlossen. Das ist ein Schatz, der bewahrt werden will.
"Liebe sie, so wird sie dich behüten", heißt es im biblischen Buch der Sprüche über die Weisheit. Vielleicht muss ich die wertvollen Erfahrungen, die ich mit mir selbst gemacht habe, gar nicht behüten, vielleicht ist es umgekehrt: Sie behüten mich. Wenn ich es zulasse, unterbrechen sie mich im Alltag und erlauben mir die Frage: Wo begegne ich hier mir selbst?