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Jakobus

Morgenandacht, 25.07.2024

Pfarrer Markus Bolowich, Nürnberg

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Es gibt Menschen, die wir nur selten sehen. Aber wenn wir sie treffen, dann bedeutet uns das sehr viel. So war es auch bei mir mit meinen jährlichen Besuchen bei einem älteren Ordensmann in der Schweiz. Wir kannten uns seit den 90er Jahren. Mit der Zeit war er für mich zu einem geistlichen Begleiter und väterlichen Ratgeber geworden, der mir mit Wohlwollen und Empathie begegnete. Die wenigen Tage, die ich jährlich Ende Juli zu Besuch nach Basel reiste, wo er im Haus seines Ordens nun seinen Lebensabend verbachte, gehörten für mich zu den kostbarsten des ganzen Jahres.

Jeden Tag gingen wir am frühen Vormittag spazieren, meistens in den schönen botanischen Garten, und abends saßen wir, wenn die Wärme des Tages endlich nachließ, noch mit einem Glas Wein im Freien. Er war für mich ein wichtiger Gesprächspartner, von dessen Lebenserfahrung und Frömmigkeit ich viel für meinen eigenen Berufungsweg lernen durfte. Darunter wie nahezu nebenbei auch die mir fremde Redewendung "sub conditione Jacobaea", die mein Gastgeber immer wieder fallen ließ. Wenn ich am Tag meiner Abreise meinen Wunsch auf ein Wiedersehen im nächsten Sommer zum Ausdruck brachte, da erwiderte er mir: "Sehr gerne, Markus! Sub conditione Jacobaea – unter der Bedingung des Jakobus."

Das war mir zunächst völlig unbekannt, aber bald verstand ich, was er damit sagen wollte, so viel wie "so Gott will und wir leben". "Sub conditione Jacobaea" geht auf den Brief des Heiligen Jakobus im Neuen Testament zurück. Heute an seinem Gedenktag muss ich besonders daran denken. In diesem Brief schreibt Jakobus an eine christliche Gemeinde diese Zeilen: 

"Nun zu euch, die ihr sagt: 'Heute oder morgen werden wir in die und die Stadt reisen! Dort werden wir ein Jahr lang Geschäfte machen und viel Geld verdienen.' Woher wisst ihr denn, was morgen sein wird? Was ist euer Leben? Es gleicht einem Dampfwölkchen, das aufsteigt und sich sogleich wieder auflöst. Sagt lieber: 'Wenn der Herr es will, werden wir noch leben und dies oder jenes tun."

Ist es nicht so? Manchmal ändert sich das Leben schneller, als wir es uns vorstellen möchten. Solche Erfahrungen der Verletzlichkeit, Unbeständigkeit, der Flüchtigkeit und Brüchigkeit sind sehr bedrängend. Wir versuchen daher gerne ihnen auszuweichen oder sie zu verdrängen. Aber das kann man nicht. Die Wahrheit ist, dass sie zum Leben gehören. Hin und wieder werden wir schmerzhaft daran erinnert, dass wir eben nicht alles in den eigenen Händen haben.

Es ist heilsam, bei allen Planungen und Zukunftsvisionen diese Sichtweise offen zu lassen: Sub conditione Jacobaea, so es Gott will und wir leben. Da geht es nicht um Fatalismus oder die Resignation, dass sowieso alles schon entschieden ist oder verloren sei, und unser Bemühen darum sinnlos. Sub conditione Jacobaea – so Gott will, ermutigt uns vielmehr, mit Gott zu rechnen! "Dein Wille geschehe" – heißt es im Vaterunser. Er gibt unserem Leben einen Sinn, auch wenn wir nicht wissen, wann oder wie alles ausgeht oder sein wird. Und ich empfinde das als eine Riesenentlastung!

Mein letzter Besuch in Basel endete vor ein paar Jahren wieder mit diesem Wunsch auf ein Wiedersehen im nächsten Sommer. "Sehr gerne, Markus! Sub conditione Jacobaea", war die herzliche Antwort. Doch es ist nicht mehr dazu gekommen. Mein Seelenfreund verstarb am letzten Tag des Jahres vor der Coronapandemie, das Reisen und Besuche nicht zulassen sollte. Heute denke ich: Ja, so sollte es sein. Und die Hoffnung habe ich, dass es doch noch ein Wiedersehen geben wird. Eines ohne Abschied – weil Gott es will.

Über den Autor Markus Bolowich

Markus Bolowich, Jg. 1967, geboren in Frankfurt/Main, in Franken aufgewachsen, Studium der Theologie in Bamberg und Münster. Lebt und arbeitet derzeit als Pfarrer in Nürnberg. Er ist Rundfunkbeauftragter des Erzbistums Bamberg. Ausbildung zum Exerzitienleiter (Ruach/DOK). Mitglied in der ökumenischen Arbeitsgemeinschaft für Homiletik e.V. (AGH).