Früher sagte man über eine Frau, die ein Kind erwartete: "Sie ist guter Hoffnung!" Und über einen Todkranken, dem alle Hoffnung geschwunden ist, sagt man: "Er hat sich aufgegeben." Hoffnung und Leben gehören zusammen. Wo Leben ist, ist Hoffnung. Wo Leben schwindet, schwindet die Hoffnung.
Der trübe und für viele depressive Monat im Jahreslauf – November – geht dem Ende entgegen. In den ersten Tagen haben Katholiken Allerheiligen und Allerseelen gefeiert und ihrer Toten gedacht. Gestern war Totensonntag. Da haben evangelische Christen ihrer Toten gedacht. Es war Volkstrauertag. Wir haben der unzähligen Opfer von Krieg und Gewalt in Vergangenheit und Gegenwart gedacht. Gedenken und Erinnern. Ist das alles, was bleibt, wenn der Tod den geliebten Menschen aus dem Leben reißt? Seine Gedanken, das Engagement, die Lebenslust, die Liebe. Hoffnungslos verschwunden? Nur noch eine mit der Zeit immer mehr verblassende Erinnerung?
Nichts ist gewisser als der Tod. Klingt vielleicht banal, im Grund aber ist es eine Ungeheuerlichkeit! Es heißt: Der Tod ist die Unmöglichkeit, eine Möglichkeit zu haben. Alle Möglichkeiten sind einem genommen, dem Toten und denen, die zurückbleiben. Der geliebte Mensch ist nicht mehr. Und eines Tages bin auch ich nicht mehr – dann leben die anderen ihr Leben weiter, ohne mich. Es gibt eine Zukunft auch ohne mich?! Vom Kopf her ist das klar. Das Herz will da nicht mit. Der Gedanke wird verdrängt. Man verfängt sich in den kleinen Hoffnungen des Alltags. "Wir bauen unser Haus und schaffen unser Werk und wissen, dass es zerfallen muss", sagte Romano Guardini. Der Tod vertagt sich. Hoffnung allein für heute. Aber wo bleibt die Hoffnung für morgen – und zwar für eine Zukunft über den Tod hinaus?
Wie ich zum Tod stehe, daran entscheidet sich, wie ich meine Lebenszeit gestalte. Die Alten haben von der "ars moriendi – ars vivendi" gesprochen: Die Kunst des Sterbens ist eine Kunst des Lebens. Welche Hoffnung ich über den Tod hinaus habe, daran hängt meine Hoffnung im Hier und Heute. Deshalb haben schon die großen Philosophen der Antike ihr Denken und Leben als Einüben in das Sterben verstanden. Sokrates ging gelassen in den Tod, weil er wusste, dass ihm das Beste noch bevorstand.
Die Frage nach der Hoffnung für die Toten ist die Geburtsstunde der Religion. Es ist eine Ur-Erfahrung der Menschen: Die Bande der Liebe dürfen mit dem Tod nicht einfach durchtrennt werden! Oder sollten diese Menschen am Ende einfach in eine gähnende Leere, ins Nichts, gestürzt sein? Vielen sagt die christliche Vorstellung vom ewigen Leben nur noch wenig. Die Welt des Himmels ist ihnen abhandengekommen. Ein wesentliches Kennzeichen der Moderne.
Aber die Sehnsucht nach dem Grenzenlosen, dem Unendlichen ist ungebrochen. Eine nicht zu stillende Sehnsucht nach Leben. Daran knüpfe ich meine Hoffnung auf ein ewiges Leben: Es gibt in uns etwas, das Ewigkeit will. Der Glaube daran ist für mich der Dreh- und Angelpunkt meiner großen Hoffnung. Ich bin überzeugt: Nichts, was wir einander in Liebe schenken, geht verloren. Die Liebe ist das Geheimnis des Lebens. Der Apostel Paulus ist ganz erfüllt von dieser großen Hoffnung auf Leben, wenn er schreibt: "Weder Tod noch Leben, (…) weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges (…) können uns scheiden von der Liebe Gottes." (Römerbrief 8,38)
Wir brauchen die Hoffnung für heute, die uns auf der Spur des Lebens hält. Aber der Horizont muss weiter gespannt werden. Der jüdische Lyriker Paul Celan hat alle seine Angehörigen in den KZs der Nazis verloren. Und dennoch hat er wunderbare Zeilen einer "Hoffnung auf Hoffnung" gedichtet:
"Also
stehen noch Tempel. Ein
Stern
hat wohl noch Licht.
Nichts,
nichts ist verloren."