Im letzten Sommer war ich auf einer kleinen Baustelle in einer Kirche am See Genezareth. Im vorigen Jahrhundert fand man dort die Bodenmosaiken einer Kirche aus byzantinischer Zeit und baute sie wieder auf. Es ist die so genannte "Brotvermehrungskirche" in Tabgha. Hier, so wird vermutet, hat die biblisch überlieferte Brotvermehrung stattgefunden. Eine schöne Geschichte: Viele Menschen wollen den berühmt gewordenen Jesus hören, haben aber keinen Proviant dabei. Da lässt Jesus das wenige an mitgebrachter Nahrung sammeln und siehe da, es reicht auf wunderbare Weise doch für alle.
Zurück zur Brotvermehrungskirche: Die Kirche war seit einiger Zeit gesperrt. Die Mosaiken mussten ausgebessert werden. Bodenbewegungen und leichtere und schwerere Erdbeben in über 1500 Jahren sorgen für dauerhaften Wartungsbedarf.
In Tabgha findet man einige Mosaiken mit komplexen Darstellungen. Zum Beispiel Flora und Fauna am Lauf des Nil. Eine Darstellung zeigt sogar ein so genanntes Nilometer, ein Messgebäude der alten Ägypter, das anzeigt, wie es um die Wasserhöhe des lebensspendenden Stromes steht. Drumherum Seerosen, Lotosblüten, Ibisse und Störche. Ein buntes Treiben in einem sonst kargen Land.
Die Mönche, die hier heute leben sind zurecht stolz auf diese Kirche. Hierhin haben schon vor über tausend Jahren Menschen aus aller Welt ihre Gedanken, Wünsche oder Fragen mitgebracht. Solche Orte machen mich ehrfürchtig, aber sie geben mir auch etwas. An diesem Tag war es etwas mehr, als ich selbst dachte. Denn kaum hatte ich die ersten Schritte Richtung Ausgang getan, hörte ich ein leises Klackern auf dem Boden. Offenbar hatte ich mit meinem Schuh etwas Loses vor mir her getreten. Es stellte sich als ein kleiner Mosaikstein heraus.
Peinlich berührt gab ich ihn dem Mönch, der mich und meine Gruppe hereingelassen hatte. "Oh!" Er schaute sich den Stein an und lies den Blick mehrmals zwischen dem Mosaik und dem einzelnen Steinchen hin und herwandern. "Den dürfen Sie mitnehmen." Der Stein war wahrscheinlich nicht aus einem besonderen Motiv, sondern aus einer größeren Ausbesserungsfläche aus gleichfarbigen Steinen gefallen. Eine Seite des Steins ist leicht abgerundet. Vielleicht ist er uralt, noch aus byzantinischer Zeit.
Ich bewahre diesen Stein seit diesem Abend am See Genezareth auf. Er erinnert mich an ein Gedicht der deutschen Heiligen Edith Stein, einer jüdisch-stämmigen Ordensfrau und Philosophin mit bewegter Geschichte, die in Auschwitz ein brutales Ende nahm. Sie war regelmäßige Besucherin einer der Kirchen meiner Pfarrei in Münster.
Ihr Gedicht geht so:
"Ohne Vorbehalt und ohne Sorgen
leg ich diesen Tag in deine Hand.
Sei mein Heute, sei mein gläubig Morgen,
sei mein Gestern, das ich überwand.
Frag‘ mich nicht nach meinen Sehnsuchtswegen,
bin aus deinem Mosaik ein Stein.
Wirst mich an die rechte Stelle legen,
deinen Händen bette ich mich ein."
Edith Stein spricht vom Kosmos als Mosaik, das nur ein göttlicher Setzer der Steine betrachten kann. Ein Werk berauschender Schönheit, dessen Fragment der oder die Einzelne ist. Man kann den Menschen als unverbunden und auf sich allein gestellt und in die Welt geworfen sehen. Vielleicht ist er aber auch hineingesetzt, um einst seinen Platz in einem staunenswerten Werk größerer Schönheit zu finden, das noch im Entstehen ist.
Daran denke ich, wenn ich meinen kleinen Mosaikstein aus Tabgha betrachte. Für sich nur ein kleines graues Klötzchen. Aber im größeren Ganzen ein atemberaubender Schmuck, den Menschen auch nach über tausend Jahren bewundern. Wer weiß schon, was wirklich in einem steckt. Vielleicht gibt es einen größeren Plan.
Edith Steins Vertrauen darauf inspiriert mich.