Konstanze hat ihre neue Anstellung mit viel Elan begonnen. Klar so ein Neubeginn setzt Kraft, Motivation und positive Energie frei. Ihre beiden Teamkollegen hingegen sind schon ziemlich lange im Geschäft und so beginnen die gemeinsamen Sitzungen sehr häufig damit, erst einmal loszuwerden, was alles nicht läuft, wo sich schon wieder Stolperstellen ergeben, wer zum wiederholten Mal etwas ausbremst. Kann Konstanze als neue Kollegin sagen, dass sie das in ihrer eigenen Kraft lähmt? Schließlich will sie es sich nicht gleich mit den Kollegen verderben durch ihre eigene Kritik.
Sie entschließt sich daher zu einem kleinen Experiment und teilt ihrerseits bei jedem Gesprächsbeginn im Team kleine Komplimente aus. Das ist gar nicht so einfach, denn es erfordert ja erstmal die eigene positive Sicht und die Bereitschaft im Gegenüber etwas alltäglich Wertvolles zu entdecken und es in Worte zu fassen:
"Schön dich zu sehen! Danke für die Erklärung gestern, das war echt hilfreich für mich! Es ist super, dass ich in dir so einen versierten Kollegen an der Seite habe." Sie würzt die Anfangsatmosphäre damit quasi mit Glückshormonen. Rein wissenschaftlich gesehen, bringt sie so das Gehirn ihrer Kollegen in Bewegung, indem sie ein Schmiermittel der zwischenmenschlichen Kommunikation nutzt. Wenn uns jemand ein Kompliment macht, dann schüttet unser Körper sogenannte Opioide aus. Ein Hormon-Cocktail, der für gute Gefühle sorgt und dessen chemische Wirkung laut der Neurobiologie sogar nahezu identisch ist mit der von synthetischen Drogen.
Und tatsächlich: Nach einigen Wochen scheint sich der Erfolg dieser Versuchsanordnung zu zeigen, die Runde der Kollegen ist morgens viel schneller im Kontakt und ein "schön dich zu sehen" stellt sich ganz selbstverständlich ein. Auch Konstanze macht für sich eine neue Entdeckung: Wenn noch vor Wochen ein Gegenüber sie Kraft kostete und sie dann nur bestenfalls innerlich und im Stillen zu einem Kompliment für die Person fähig war, so verlängerte sich durch das positive in-Beziehung-treten zu dieser Person ihr innerer Geduldsfaden, statt zu reißen.
Wenn ich auf mich selber schaue, muss ich zugeben, dass ich kein Komplimente-Profi bin. Es fällt mir so schwer als Empfängerin eine bestätigende Botschaft anzunehmen und mich einfach nur zu freuen. Stattdessen bin ich oft peinlich berührt, und anstelle eines erfreuten "Danke, das ist aber nett!", wiegle ich eher ab, relativiere oder wechsle schnell das Thema. Schließlich habe ich wie viele von Kind auf gelernt, dass es einzig wichtig ist, keine Fehler zu machen. Spätestens ab meiner Schulzeit war klar – nicht das Gelingen wird hervorgehoben, sondern das Scheitern betraft. Alles andere ist mit Vorsicht zu genießen. Dabei könnte es so viel gute Laune machen, Schönes hervorzuheben, Gelungenes zu loben und sich selbst zu freuen, solche Worte zu hören.
Und als Komplimentegeberin? Vermutlich hängt das eine mit dem anderen zusammen, denn auch da bin ich noch entwicklungsbedürftig. Dabei gäbe es täglich hundert Gelegenheiten für Komplimente: Der Bäckereiverkäuferin für das Lächeln am Morgen, der Nachbarin für die wunderbaren Essensdüfte, die den Hausflur durchziehen und vielleicht sogar der bedürftigen Frau in der Fußgängerzone für das schöne Lied, das sie in ihrer Heimatsprache singt.
Die Aufmerksamkeit für mein Gegenüber und der Mut, Worte für die freudigen Entdeckungen zu finden, erzeugen ein wärmendes Gefühl der Verbundenheit. Das muss man unbedingt täglich ausprobieren.
Wie positiv eine solche Haltung auf Körper und Seele wirken kann, hat schon Mark Twain gewusst, der einmal gesagt hat: "Von einem guten Kompliment kann ich zwei Monate leben."