1-800-273-8255. Diese Nummer ist der ziemlich ungewöhnliche Titel eines Hip-Hop-Songs, der in den USA sehr erfolgreich war. Er stammt von dem Rapper Logic. Der Song und das dazugehörige Video sind schon ein paar Jahre alt, wurden aber später noch einmal zum Gegenstand einer wissenschaftlichen Studie.
Denn: 1-800-273-8255 – das ist die Telefonnummer der amerikanischen Suizid-Präventionshotline. Sie spielt die entscheidende Rolle in dem bewegenden Video. Ein dunkelhäutiger homosexueller Junge entdeckt seine Identität, merkt, dass er sich zu einem Mitschüler mehr als hingezogen fühlt. Er ist verliebt und glücklich. Doch das Glück darf nicht sein. Rund um sein Coming-Out, rund um die Entdeckung seiner Homosexualität erfährt er Verletzung und Ablehnung: durch seine eigene Familie, die Familie seines Freundes und in der Schule. Er wird vor die Tür gesetzt, seine Welt bricht zusammen. Sein Leben ist am Tiefpunkt, an der Grenze des Erträglichen.
"It feel like my life ain’t mine." – "Es fühlt sich an, als ob das Leben nicht mehr meins ist." Dieses Leben geht nicht mehr, ist nicht mehr zu ertragen. Buchstäblich im letzten Moment, am tiefsten Punkt greift der Junge nach seinem Telefon, ruft die Hotline an und erfährt Hilfe. Dadurch findet er heraus aus diesem Tiefpunkt seines Lebens. "Ich will leben. Ich will nicht mehr sterben", heißt es am Ende des Liedes. Der Song erzählt von der Wende, von Unterstützung, erzählt von dem Weg zurück zu Lebensmut und zu der Idee von Sinn und Leichtigkeit. Es erzählt dann auch von geglücktem Leben, von Versöhnung.
Ein paar Jahre nach Erscheinen hat eine Studie den Song und das Musik-Video noch einmal unter die Lupe genommen. Die Forscher waren daran interessiert, was für Auswirkungen so ein Song haben kann. Das Ergebnis: In der Zeit, in der das Video am meisten geklickt wurde und die größte Medienöffentlichkeit hatte, ging die Zahl der Anrufe bei der Hotline um rund 10.000 in die Höhe. Die Zahl der Suizide in den USA lag in dieser Zeit um rund 5 Prozent niedriger als statistisch erwartet. Und in den Kommentaren unter dem YouTube-Video zum Song liest man bis heute Geschichten, die hinter den Zahlen stecken.
Geschichten von Menschen, die wieder zurückgefunden haben ins Leben. Die von dem Video berührt waren und sich daran festhalten konnten. Manche sagen sogar, es habe sie gerettet. Es ist tatsächlich so, dass Berichte und Geschichten von positiv überstandenen Lebenskrisen immer dazu beitragen, dass andere Menschen mit Suizidwünschen ihre eigene Krise überwinden können. Papageno-Effekt heißt dieses Phänomen in der Wissenschaft. Die Figur aus Mozarts Zauberflöte dient als Namensgeber für die Beobachtung, dass die Überwindung von Lebenskrisen möglich ist und die Erzählung darüber wirkungsvoll sein kann. Wenn Erfahrungen von überwundenen Tiefpunkten oder Krisen erzählt und geteilt werden, dann hat das einen positiven Effekt auf Menschen, die gerade mit ihrem Leben nicht zurechtkommen, die an der Grenze des Erträglichen angekommen sind.
Wenige Menschen haben so eine mediale Präsenz wie ein Rapper, der über seine Songs und Videos eine wirkungsvolle Geschichte erzählen kann. Aber ganz viele Menschen haben gute Geschichten: die Geschichten von überwundenen Krisen, von Rettendem und Hilfe Und diese Geschichten haben eine Wirkung. Und wir sollten sie einander erzählen. Ich stelle mir vor: Wenn ganz viele Menschen genau diese Geschichten erzählen, dann entsteht ein großes Netz von wirksamer Unterstützung. Dann können Lebenswege entstehen.