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Grautöne

Morgenandacht, 27.01.2023

Martin Wolf, Mainz

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Die Welt ist grau.

Das ist sie nicht nur bei dem trüben Schmuddelwetter, das jetzt im Winter so oft auf die Stimmung drückt. Nein, die Welt ist immer grau. Dann jedenfalls, wenn ich sie durch die Brille der Moral betrachte. Weil es moralisch in dieser Welt eben niemals nur ganz schwarz oder ganz weiß zugeht. Weil es das abgrundtief Schlechte in unserm Leben so wenig gibt, wie das grenzenlos Gute.

Keiner wird schon als Schurke geboren. Kein Mensch, auch nicht der abscheulichste Kriegsverbrecher, verkörpert nur das ausnahmslos Böse. Und kein Heiliger hat in seinem Leben immer nur grenzenlose Güte verströmt. Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen, in einer riesigen Palette an fein abgestuften Grautönen.

Eine Welt, die nie eindeutig ist, die moralisch immer grau in grau erscheint, die drückt aber irgendwann aufs Gemüt. Alles, was diffus und uneindeutig bleibt, ist anstrengend und auf Dauer einfach schwer erträglich. Die meisten Menschen möchten es wohl lieber klar und eindeutig haben. Weil es mein Leben erleichtert, wenn ich klar weiß, wer denn nun Heiliger und wer Satan ist. Wen ich bewundern kann und wen ich verabscheuen sollte.

Klarheit schafft Ordnung in der Welt. Gut und Böse, Weiß und Schwarz, säuberlich sortiert, machen das Leben sehr viel leichter. Ganz besonders, wenn ich mich selbst natürlich immer auf der Seite der Guten sehe.

Die moralische Überheblichkeit mancher Stimmen im Umfeld der Fußball-WM in Katar etwa hat nicht nur die Menschen dort schwer genervt. Auch mich. Dabei ist völlig klar, dass die allgemeinen Menschenrechte fundamentale Errungenschaften sind. Dass sie nicht verhandelbar und auch mit noch so viel Geld nicht käuflich sind. Dass ich sie natürlich in meinem eigenen Reden und Tun achten und auch danach leben sollte.

Aber zur Wahrheit gehört leider auch, dass das noch lange nicht überall auf dieser Welt im gleichen Maße gilt. Dass sie auch in Europa gegen zahlreiche Widerstände oft erst mühsam und über lange Zeit erkämpft werden mussten. Ja, dass sie auch bei uns in Deutschland noch längst nicht in allen Köpfen ankommen und akzeptiert sind. Ob es nun um die Rechte von Frauen geht. Um rassistische oder antisemitische Stereotype. Oder darum, verschiedene sexuelle Ausprägungen als gut, weil von Gott gegeben, zu akzeptieren. Auch meine katholische Kirche hat sich da nicht mit Ruhm bekleckert. Da gibt es nichts zu relativieren. Nichts zu verharmlosen.

Aber wenn ich in stillen Momenten ehrlich mit mir selbst bin, dann muss ich mir leider eingestehen, dass auch ich nicht frei von Stereotypen und Vorurteilen bin. Dass ich merke, wie ich mich innerlich anspanne, wenn abends auf der Heimfahrt eine Gruppe arabisch sprechender Männer in meinen Zug einsteigt.

Auch wenn sie sich nur unterhalten und sonst rein gar nichts tun. Dass ich auf den angetrunkenen Obdachlosen, der mich um Geld anbettelt, anders, nämlich abweisender reagiere, als auf die freundliche Touristin, die nach dem Weg fragt. Ich muss mir leider ständig eingestehen, dass ich auch nicht der makellos Gute bin, der ich doch so gern wäre. Aber ganz sicher auch kein Unmensch. Ich bin grau. So, wie jede und jeder von uns.

Und diese Einsicht ist irgendwie ja auch wieder entlastend. Weil sie mir dabei helfen kann, barmherziger zu sein. Mit meiner eigenen Unfertigkeit, aber auch mit den Fehlern der Anderen.

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