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Ein Gott, der lernt?

Morgenandacht, 27.11.2023

Andreas Britz, Bellheim

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"Großer Gott, wir loben dich; Herr wir preisen deine Stärke. Vor dir neigt die Erde sich und bewundert deine Werke. Wie du warst vor aller Zeit, so bleibst du in Ewigkeit."

So schmettern es Christen laut in einem der bekanntesten Kirchenlieder. Gott, der Schöpfer der Welt, der Unveränderliche, der immer Gleichbleibende. Aber ist das so? Wer in das Alte Testament der Bibel schaut, der findet einen ganz anderen Gott. Die Hebräische Bibel schildert ihn als jemanden, der seine Vorhaben ändert, Entscheidungen bedauert und dann auch korrigiert.

Da ist die Erzählung vom Goldenen Kalb, das die Israeliten in der Wüste verehren. Eigentlich will Gott das Volk wegen dieses Götzendiensts vernichten. Auf Bitten des Mose aber verzichtet Gott auf die angekündigte Strafe. Ein anderes Beispiel: Laut dem ersten Buch Samuel bereut Gott seine Entscheidung, Saul zum König von Israel gemacht zu haben. Stattdessen erwählt er David zum neuen Herrscher.

Gott lernt also dazu. Die beeindruckendste Geschichte findet sich im Buch Genesis. Dort ist von den Städten Sodom und Gomorra die Rede, in denen die Bewohner gewissenlose Sünder sind. Gott beschließt die Vernichtung der beiden Orte. Feuer und Schwefel sollen vom Himmel regnen und alle Einwohner töten.

Gott informiert den frommen Abraham über seinen Plan. Abraham reagiert entsetzt. Er denkt dabei auch an seinen Neffen Lot und dessen Familie, die als rechtschaffene Bürger in Sodom leben."Willst du auch den Gerechten mit den Ruchlosen wegraffen?" (Gen 18,23), so fragt er Gott vorwurfsvoll. Und er macht ihm einen Vorschlag:"Vielleicht gibt es fünfzig Gerechte in der Stadt? Willst du auch sie wegraffen und nicht doch dem Ort vergeben wegen der fünfzig Gerechten in ihrer Mitte?" (Gen 18,24)

Gott willigt ein. Aber Abraham gibt keine Ruhe. Er kann nicht glauben, dass Gott Menschen kollektiv straft. Was, wenn es 45 Gerechte sind? Oder nur 40? 30? 20? Wieder gibt Gott nach. Es geht zu wie auf einem orientalischen Basar. Bis auf 10 Gerechte kann Abraham Gott herunterhandeln."Ich werde sie nicht vernichten um der zehn willen." (Gen 18,32) Das ist die rote Linie.

Die Kühnheit Abrahams ist beispiellos. Er findet sich nicht einfach mit dem göttlichen Urteil ab. Er fordert den Allmächtigen heraus."Sollte der Richter der ganzen Erde nicht Recht üben?" (Gen 18,25), so hakt Abraham nach. Gott ist zwar der Gesetzgeber, aber er kann sich doch nicht über die Gesetze stellen. Auch er muss sich daran halten.

Und tatsächlich ändert Gott seine Meinung. Er lässt sich auf den Handel mit Abraham ein. Gott und Mensch begegnen sich auf Augenhöhe! Zwar werden Sodom und Gomorra am Ende zerstört; Lot und die Seinen aber, offenbar die einzigen Gerechten, können sich retten.

Für den israelischen Schriftsteller Amos Oz (1939-2018) ist dieser Dialog "der herausragendste und ruhmreichste Moment der ganzen jüdischen Geschichte.":"(…) Solche Worte", so schreibt er, "kenne ich aus keiner einzigen anderen Religion. (…) Ich kriege jedes Mal eine Gänsehaut, wenn ich sie zitiere, und glauben Sie mir, ich zitiere sie oft, sehr oft."

Ist Gott also doch nicht der Unveränderliche, der nur in sich selbst Ruhende? Lässt er sich am Ende sogar vom Menschen beeinflussen, ja vielleicht sogar manchmal korrigieren?

Über den Autor Andreas Britz

Andreas Britz, Jahrgang 1959, studierte Katholische Theologie und Geschichte in Trier. Seit 1989 unterrichtet er am Johann-Wolfgang-Goethe-Gymnasium im südpfälzischen Germersheim und ist Regionaler Fachberater für Katholische Religion. Zudem ist Britz Autor zahlreicher Unterrichtsreihen und Rundfunksendungen in den Hörfunkprogrammen des SWR.

Kontakt: andreasbritz@web.de