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Gerecht

Morgenandacht, 28.01.2023

Martin Wolf, Mainz

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Es ist noch gar nicht lange her, da haben wir über das Bürgergeld gestritten. Über jene neue Sozialleistung also, die Anfang des Jahres das ungeliebte Hartz-IV abgelöst hat. Sie wird aus Steuern finanziert, die wir alle bezahlen müssen. Und so ging es immer wieder um zwei Fragen: Was kann man denen zumuten, die es erhalten? Und: Wie viel Vermögen darf jemand behalten, bevor er es bekommt? Für Betroffene dürfte manche Äußerung demütigend gewesen sein. Für mich stand hinter dem Streit aber eine andere Frage: Was ist gerecht?

Dass nämlich halbwegs gerecht zugeht unter uns, das hat Menschen schon immer bewegt. Fast immer geht es dabei ums Haben oder Nicht-Haben. Schon die biblischen Propheten im sogenannten Alten Testament haben Gerechtigkeit eingefordert. Haben sich aufgeregt über eine prassende Oberschicht, die sich oft keinen Deut um die Armen im Land geschert hat.

„Weh denen, die das Recht in bitteren Wermut verwandeln und die Gerechtigkeit zu Boden schlagen!“ (Amos 5,7)

So ereifert sich schon vor fast 3000 Jahren der Prophet Amos. In zahlreichen Ländern dieser Welt scheint sich seither nur wenig geändert zu haben.

Wir Menschen haben ein feines Gespür dafür, ob etwas gerecht ist. Schon Kleinkinder empfinden das. Nun sind Konflikte im Kindergarten meist einfach zu lösen. In unserer komplexen Erwachsenenwelt allerdings wird das schnell kompliziert.

In wenigen Jahren darf ich in den Ruhestand gehen. Dann erhoffe mir natürlich, dass ich von meiner Rente gut leben und meinen Ruhestand auch genießen kann. Finanzieren müssen das aber vor allem meine Kinder, die gerade ins Berufsleben starten. So will es der sogenannte Generationenvertrag. Eigentlich eine tolle Idee, finde ich, wenn die einen für die anderen da sind.

Doch meine Kinder werden sich wohl viel mehr einschränken müssen, damit wir Alten es bequem haben. Weil sie, die Jungen weniger werden, wir Alten aber immer mehr. Ist das noch gerecht? Die Ökonomin Monika Schnitzler, eine der fünf Wirtschaftsweisen, hat das vor Kurzem in Frage gestellt. Der wütende Aufschrei meiner Generation war ihr sicher. Und wie ist das mit Menschen, die ein Vermögen erben? Einfach so. Während auf der anderen Seite die stehen, die nie zu etwas kommen, obwohl sie ihr Leben lang schuften. Ist das gerecht?

Gerecht heißt nicht, dass alles gleichgemacht werden müsste, es keine Unterschiede mehr geben darf. Unbedingt dazu gehört für mich aber, dass die Unterschiede nicht zu groß werden dürfen. Zwischen oben und unten, zwischen denen, die viel und denen, die nur wenig haben. Leicht ist das nicht und Streit fast sicher. Und doch geht es, wenn man will. Durch Teilen. Im besten Fall schaffen wir das selbst. Und wenn nicht, braucht es den Staat. Dafür ist er da.

Mehr als 600mal kommt das Wort gerecht übrigens in den Texten der Bibel vor. Den Verfassern damals muss es also wichtig gewesen sein. Und doch bleiben sie mir eine Erklärung schuldig. Denn es gibt ja Dinge, die einfach ungerecht sind und die auch durch Teilen nicht besser werden. Wenn jemand mit 40 Jahren unheilbar erkrankt, während andere bis ins hohe Alter fit sind. Wenn eine Familie ein Kind verliert, derweil andere ihr Familienglück genießen. Warum das so sein muss, das wüsste ich gerne von Gott. Warum er seine Schöpfung also nicht gerecht gemacht hat.

Ich hoffe, ich kann ihn mal danach fragen, wenn ich ihm eines Tages gegenüberstehe.