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Mrs. Dalloway

Morgenandacht, 28.06.2025

Katharina Pomm, Apolda

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"Mrs. Dalloway sagte, sie werde die Blumen selbst kaufen." So beginnt Virginia Woolf ihren Roman "Mrs. Dalloway", der vor genau 100 Jahren veröffentlich wurde. Er ist eines der wichtigsten literarischen Zeugnisse für den Aufbruch des Denkens in die Moderne. 

Als Leserin streife ich mit der Protagonistin Clarissa Dalloway einen Junitag lang durch London. Dabei geschieht, wie der erste Satz bereits andeutet, kaum etwas. Bis zum Schluss wird es kein großartiges Ereignis, keine überraschende Wendung geben. Die Autorin Virginia Woolf bricht mit der Erwartung, für eine Erzählung müsse es ein herausragendes Abenteuer oder eine spannende Handlung geben.

Aus gutem Grund. Denn je weniger an Handlung geschieht, umso tiefer und intensiver wird die Wahrnehmung innerer Prozesse. Es entsteht ein Raum für das, was Menschen innerlich bewegt: Ängste, Träume, Leidenschaften, Erinnerungen. Alltägliche Szenen – das Quietschen einer Tür, das Hinaustreten in einen Sommermorgen – holen längst Vergangenes in den gerade erlebten Augenblick. Im Strom der Gedanken und Erinnerungen gewinnt die eigene Lebensgeschichte an Tiefe. Längst folge ich nicht mehr nur Clarissa Dalloways Gedanken, sondern lese, wie in einem verborgenen Text zwischen den Zeilen, meine eigene Geschichte.

Was alles möglich wird, wenn sich Zeit und Raum für den Blick nach innen öffnen!

Warum das wichtig ist, erlebe ich als Leserin besonders an der zweiten zentralen Figur des Romans. Der junge Septimus geht, genau wie Clarissa, an jenem Junitag durch London. Jedoch mit anderer Geschichte. Er war als Soldat in den Schützengräben des ersten Weltkriegs und ist zutiefst traumatisiert. Heute, nach Jahrzehnten der Forschung, wissen wir viel über Traumata und deren tiefgreifende Folgen. Gott sei Dank auch Einiges über wirksame therapeutische Verfahren. Generationen später ist es Menschen möglich, hier sensibler, aufmerksamer und solidarischer zu sein. Dennoch sind die Ratschläge, die die Ärzte im Roman dem leidenden Septimus geben, auch heute nicht unbekannt: Er solle sich ein Hobby suchen. Spazierengehen. Oder sich wenigstens seiner Frau zuliebe zusammenreißen.

Wo eben noch Raum war für freies inneres Erleben, werde ich nun Zeugin des Versuchs, Leidvolles, Qualvolles weg zu organisieren. Es mit guten Tipps zu ersticken. Weil es kaum aushaltbar ist. Auch nicht für den, der zuhört.

Die Autorin Virginia Woolf hat ihre Seele in diese Zeilen gelegt. Sie kannte das, was sie in "Mrs. Dalloway" beschreibt: die Sehnsucht danach, sich mitzuteilen, auch mit den düstersten und abwegigsten Regungen der Seele. Den hilflosen Versuch von Umstehenden, das Leiden mit Ratschlägen abzuwehren. Sie hatte das Glück immer auch von Menschen umgeben zu sein, die versuchten, das Schwere geduldig mitzutragen und auszuhalten. Gegenüber religiöser Deutung von Leid behielt sie zeitlebens eine tiefe Skepsis. Mit der Figur Ms. Kilman karikiert sie den Versuch, Leid religiös und moralisch zu überhöhen.

In Mrs. Dalloway wagt Virginia Woolf einen Gegenentwurf: Sie sucht danach, wie es gelingen kann, sich und anderen treu zu bleiben. Einer Regung der Seele – ganz gleich welche – Raum zu lassen. Wohl wissend, wie herausfordernd das ist.

Über die Autorin Katharina Pomm

Katharina Pomm wurde im Februar 1980 in Aachen geboren. Nach dem Theologiestudium in Tübingen und Münster begann sie ihre pastorale Ausbildung und Tätigkeit im Bistum Erfurt. Nach der Arbeit in Pfarreien und Hochschulgemeinden entschied sie sich 2013 bewusst für die Klinikseelsorge. Sie arbeitet heute als Seelsorgerin, Supervisorin, sowie in der Aus- und Weiterbildung von pastoralem, pflegerischem und ärztlichem Personal. Gemeinsam mit ihrem Mann und ihrer Tochter lebt sie im thüringischen Apolda. Freiräume nutzt sie so oft es geht zum Verreisen und zum meditativen Bogenschießen.

Kontakt: katharina@pomm.de