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Der "Igeldoktor"

Morgenandacht, 28.11.2023

Andreas Britz, Bellheim

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Massimo Vacchetta ist der bekannteste Tierarzt Italiens. Viele nennen ihn nur den "Igeldoktor". Im Piemont betreibt Vacchetta zusammen mit vielen Helfern die "Casa dei ricci", eine Klinik für kranke und verletzte Igel.

Angefangen hat alles an einem Freitagabend im Mai 2013. Massimo Vacchetta arbeitete schon einige Jahre als Veterinär für Tiere in der Landwirtschaft. Aber der Beruf machte ihm keine rechte Freude. Eigentlich suchte er eine neue Herausforderung, doch wusste er nicht so recht, was er machen sollte.

Da bat ihn ein befreundeter Tierarzt um eine Vertretung am Wochenende. Massimo fuhr zu ihm. Bevor sich der Kollege verabschiedete, zeigte er ihm eine Kiste. Darin lag ein winziges Igelbaby, vielleicht zwei, drei Tage alt, nur 25 Gramm leicht. Eine Frau hatte das Waisenkind in ihrem Garten gefunden.

Nun also sollte sich Massimo um den Winzling kümmern. Wie konnte er dieses Häufchen Elend retten? Er hatte eigentlich keine Ahnung von Igeln. Aber das Kleine rührte ihn an. Massimo machte sich kundig, fütterte den Igel alle drei bis vier Stunden mit einer Mischung aus Fencheltee und Milchpulver. Ganz vorsichtig, mit einer Spritze, Tropfen für Tropfen, damit die Flüssigkeit nicht in die Luftröhre floss. Auch in der Nacht musste er Ninna versorgen, so nannte er das Igelkind. Und Ninna kam durch!

Dieses Erlebnis veränderte Massimos Leben vollständig. Ab jetzt wollte er sich nur noch um Igel kümmern. Und so machte er aus seiner Villa ein Igelkrankenhaus. 150 Tiere, krank, verletzt oder hilflos, werden hier rund um die Uhr betreut. Sind sie wieder fit, kommen sie in einen Garten, um sich langsam an die Natur zu gewöhnen. Dann entlässt Massimo sie in die Freiheit. So war es auch mit Ninna. Sich von ihr zu verabschieden, fiel ihm unendlich schwer.

Massimo Vacchetta hat seine Bestimmung gefunden. Er selbst beschreibt das so: "Ich interessiere mich nicht mehr wie früher für schicke Autos, große Villen oder Geld. Das ist nicht länger meine Vorstellung von Glück. Vielmehr möchte ich meine Träume verwirklichen."

Als ich Massimos Geschichte kennenlernte, dachte ich spontan an Franz von Assisi. Zunächst wegen der Liebe zu den Tieren. Von Franziskus wird berichtet, er habe einen Wolf gezähmt und den Vögeln auf freiem Feld gepredigt. Sogar Regenwürmer soll er von der Straße aufgehoben haben, damit sie nicht von den Menschen zertreten wurden. In allen Kreaturen sah der Heilige seine Brüder und Schwestern. Und so wie Massimo Vacchetta erlebte auch Franz von Assisi vor 800 Jahren eine radikale Lebenswende. Bei ihm geschah das in der Kriegsgefangenschaft. Aus dem verwöhnten und streitlustigen Kaufmannssohn wurde ein Mann Gottes, arm, demütig und einfühlsam.

Immer wieder erfahren Menschen solche Umbrüche. Sie spüren plötzlich und unerwartet eine unbedingte Verpflichtung, die sie nicht wieder loslässt. Auf diese Weise finden sie ihr persönliches Glück, ja, den Sinn des Lebens.

Bei Massimo Vacchetta klingt das so: "Wenn ich in meinem kleinen Krankenhaus stehe und mich um die verletzten, angefahrenen und hungrigen Igel kümmere, möchte ich ihnen ein Stück ihrer Existenz zurückgeben. Das funktioniert nur, wenn ich mit ganzem Herzen dabei bin. Bedingungslos. Jederzeit."

Berufungsgeschichten wie jene des Franz von Assisi vor 800 Jahren oder die von Massimo Vacchetta heute sind nicht planbar. Aber sie sind immer und überall möglich. Davon ist auch der "Igeldoktor" aus Italien überzeugt: "Jeder," so schreibt er, "kann etwas tun, um anderen zu helfen, egal ob es Igel, Kinder, alte Menschen oder Bäume sind. Wenn jeder seinen Beitrag leistet, schaffen wir vielleicht irgendwann eine bessere Welt."

Über den Autor Andreas Britz

Andreas Britz, Jahrgang 1959, studierte Katholische Theologie und Geschichte in Trier. Seit 1989 unterrichtet er am Johann-Wolfgang-Goethe-Gymnasium im südpfälzischen Germersheim und ist Regionaler Fachberater für Katholische Religion. Zudem ist Britz Autor zahlreicher Unterrichtsreihen und Rundfunksendungen in den Hörfunkprogrammen des SWR.

Kontakt: andreasbritz@web.de