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Unerwartet anders – Auf Herzhöhe

Morgenandacht, 29.05.2024

Pfarrer Thomas Steiger, Stuttgart

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Franziskus wurde mit 76 Papst, Joe Biden mit 78 amerikanischer Präsident, Charles war 73, als er zum König gekrönt wurde. Sind alte Männer im Vorteil, wenn es darum geht in ein hohes Amt zu kommen? Beispiele gibt es jedenfalls genug, die das in Geschichte und Gegenwart belegen. Wer dagegen jung große Verantwortung übernimmt, wird oft skeptisch beäugt. Kann der das schon, ist er nicht noch zu jung, bringt er genügend Erfahrung mit, usw.? 

Gegenbeispiele finde ich in der Bibel.

Ein besonders starkes ist das, in dem David zum König von Israel gewählt wird, und wie Gott dabei mitmischt. Dass Israel unbedingt einen König will, ist Gott eigentlich ein Dorn im Auge gewesen. Die Propheten lässt er sagen, dass ein Mensch an der Spitze sich selbst schnell für Gott halten könnte. Mit den entsprechenden Konsequenzen. Wer selbst unbedingt an die Macht will, wird die Macht zu seinen Gunsten ausnützen und schadet häufig anderen dabei. So auch bei König Saul, Davids Vorgänger: Misswirtschaft, Kriege und familiäre Streitigkeiten überschatten seine Regentschaft.

Ein ganzes Netz aus Problemen tut sich auf, dem Saul nicht mehr entkommen kann. Noch ist er König, aber Gott will unter der Hand einen anderen zum König salben. Was höchst ungewöhnlich ist. Auf wen aber die Wahl fällt, das ist noch weniger zu erwarten. Einer von sieben Brüdern soll es werden. Sie werden dem Gottesmann Samuel, der für derlei Dinge zuständig ist, der Reihe nach vorgeführt, mit dem Ältesten angefangen. So wie man es eben macht, bis heute. Wenn in Familien geheiratet wird. Wenn es darum geht, wer befördert werden soll.

Wenn Titel oder verdienstvolle Orden verteilt werden. Die Älteren kommen zuerst, die haben es verdient. Dem aber schiebt Gott augenblicklich einen Riegel vor. Wörtlich heißt es an dieser Stelle in der Bibel: "Der HERR aber sagte zu Samuel: Sieh nicht auf sein Aussehen und seine stattliche Gestalt, denn ich habe ihn verworfen; Gott sieht nämlich nicht auf das, worauf der Mensch sieht. Der Mensch sieht, was vor den Augen ist, der HERR aber sieht das Herz." (1 Sam 16,7)

Damit kommt auf einmal ein ganz anderer Maßstab als das Alter oder die Rangfolge der Würde ins Spiel. Es geht nicht mehr darum, was einer erreicht hat, nicht mehr um Leistung oder äußere Stärke. Für Gott ist bei diesem zweiten Versuch, den richtigen König für sein Volk zu finden, eine andere Charaktereigenschaft entscheidend. Er soll ein Herz haben. Damit kann nur gemeint sein: Der neue König soll nahe an den Menschen dran sein. Er soll wissen, wo es ihnen an etwas fehlt und für Abhilfe sorgen. Eher weich als hart, eher ein Fürst des Friedens, als ein Kriegsherr, der seine Untertanen in sinnlosen Kämpfen "verheizt". Ein König auf "Herz-Höhe" mit denen, die er regiert. Das trifft wohl am besten, was Gott will. Und das findet er erst, als er nach dem Jüngsten der Söhne fragen lässt, den keiner der Anwesenden überhaupt auf dem Schirm hat. Er heißt David, ist aber noch draußen auf dem Feld und hütet die Schafe. Genau der soll es werden. Samuel nahm das Horn mit Öl und salbte David mitten unter seinen Brüdern.

Ich stelle mir vor, was wäre, wenn wir dieses Kriterium einführen würden, wenn es darum geht, Stellen zu besetzen, sich für einen Posten zu qualifizieren: die Herzhöhe. Ich weiß, dass vieles dagegenspricht, weil wir unsere Welt so eingerichtet haben, dass so ein weicher Faktor kaum eine Rolle spielt. Wobei: Ist das nicht gerade entscheidend, wenn Menschen zusammenleben? Ich glaube: Unsere Welt sähe anders aus, wenn wir mehr auf den Faktor Herz achten würden.

Über den Autor Thomas Steiger

Pfarrer Thomas Steiger, geboren 1964, ist der Senderbeauftragte der Katholischen Kirche beim SWR und damit der Leiter der Katholischen Hörfunkarbeit dort. Er studierte Theologie und Deutsche Sprache in Tübingen und Wien. Seine Priesterweihe erfolgte 1995. Nach unterschiedlichen Stationen in der Gemeindeseelsorge war er 14 Jahre Pfarrer und Dekan in Tübingen. Von 2013 bis 2021 war er als Beauftragter der Diözese Rottenburg-Stuttgart für die Rundfunkarbeit tätig.

Kontakt: thomas.steiger@kirche-im-swr.de