Newsletter

Im Grunde gut

Morgenandacht, 29.06.2024

Regina Wildgruber, Osnabrück

Beitrag anhören

"Im Grunde gut". So lautet der Titel eines Buches, das monatelang auf der Spiegel-Bestsellerliste stand. Es stammt von dem niederländischen Historiker Rutger Bregman.

Er geht von der Beobachtung aus, dass unser Blick auf Geschichte und Gegenwart meistens negativ geprägt ist. Nämlich von der Annahme, dass Menschen einander übel wollen, dass Aggression, Selbstsucht und Gier unser natürliches Verhalten sind. In seinem Buch sammelt Bregman viele Beispiele dafür, dass diese Sichtweise nicht der Realität entspricht. Er zeigt, dass Kooperation und Mitmenschlichkeit viel weiter verbreitet sind, als wir annehmen.

Auch wenn ich nicht alle Einschätzungen von Rutger Bregman teile, hat mich sein Buch fasziniert. Seine Grundannahme erinnert mich an den biblischen Grundlagentext schlechthin, an die Erschaffung der Welt durch Gott, wie sie am Beginn des Buches Genesis geschildert wird. Da heißt es:

"Am Anfang, als Gott Himmel und Erde erschuf, da war die Erde wüst und leer und Finsternis lag über der Urflut.

Und Gottes Geist schwebte über dem Wasser.

Gott sprach: es werde Licht. Und es wurde Licht

Und Gott sah, dass das Licht gut war."

Seit dem Aufkommen der modernen Naturwissenschaften wird dieses biblische Schöpfungslied häufig als eine Art naive Theorie über die Entstehung der Welt verstanden. Nach dem Motto: Die Menschen damals wussten es nicht besser, also haben sie sich die Welt als Gottes Schöpfung erklärt.

Der biblische Text aber führt in eine ganz andere Richtung. Ihn interessiert die Frage nicht, wo die Welt herkommt, die uns Menschen umgibt. Vielmehr versteht er diese Welt als Resonanzraum Gottes: Am Anfang, so heißt es dort, war die Welt chaotisch und lebensfeindlich. Erst als Gott die unwirtliche Wüste anspricht, wird daraus ein Ort, an dem alles Lebendige Platz findet. Gott schaut diese Schöpfung, die sich Schritt für Schritt entfaltet, an. In seinen Augen ist sie gut, sehr gut sogar.

Ich finde es überhaupt nicht selbstverständlich, dass die Bibel mit einem solchen Blick auf Gott und die Welt beginnt. Viele alte Mythen schildern den Anfang der Welt als Kampf zwischen gewaltigen Mächten. Die Bibel hingegen vertritt die Haltung: "Im Grunde gut". Im Grunde ist die Welt ein guter Ort, an dem Platz für die Vielfalt des Lebendigen ist, Gottes Schöpfung, die von seiner Fürsorglichkeit und Großzügigkeit erzählt.

Dass das Leben manchmal genau das Gegenteil von all dem ist, weiß auch die Bibel. Wir Menschen leben nicht im Paradies. Der Schöpfungstext am Anfang der Bibel skizziert vielleicht so etwas wie eine Lebenshaltung. Er versteht den Menschen als Teil der guten Schöpfung Gottes, verbunden mit all seinen Mitgeschöpfen.

In seinem Buch erzählt Rutger Bregman die Geschichte eines Sozialarbeiters, der von einem Jugendlichen mit dem Messer bedroht wird. Statt aber das Weite zu suchen, lädt der Sozialarbeiter den Jungen zum Essen ein. Sie kommen miteinander ins Gespräch, die Atmosphäre ist freundlich. Am Ende bezahlt der Jugendliche mit dem Geld, das er seinem Opfer vorher abgeknöpft hat und lässt das Messer zurück.

Die vielen Beispiele im Buch von Rutger Bregman machen mir Mut, die Perspektive der Bibel ernst zu nehmen. Im Grunde gut – eine Haltung, die davon überzeugt ist, führt zu einem guten Leben.

Über die Autorin Regina Wildgruber

Regina Wildgruber, geboren 1976, studierte Theologie, Philosophie und Psychologie in München, Jerusalem und Münster. 2012 promovierte sie mit einer Arbeit zum biblischen Propheten Daniel. Seit 2013 ist sie Bischöfliche Beauftragte für die Weltkirche in Osnabrück.

Kontakt: r.wildgruber@bistum-os.de