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Gott und Gottesbilder

Morgenandacht, 29.11.2023

Andreas Britz, Bellheim

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"Wir glauben doch alle an denselben Gott." So oder so ähnlich hört man es oft, wenn über die Religionen der Welt gesprochen wird. Ich halte diesen Satz nicht nur für falsch, sondern auch für gefährlich. Er blendet nämlich aus, dass die Vorstellungen entscheidend sind, die sich religiöse Menschen von Gott machen. Und diese Vorstellungen können höchst unterschiedlich sein. Erst recht gilt das für die Konsequenzen, die sich daraus für das Zusammenleben der Menschen ergeben.

Die Geschichte von Flug 93 belegt das auf dramatische Weise. Es geht um eine der vier Flugzeuge, die am 11. September 2001 in den USA entführt wurden. Die Maschine der United Airlines war verspätet gestartet. Als die islamistischen Terroristen die Boeing 757 in ihre Gewalt bringen, sind die anderen Flugzeuge bereits in ihre Ziele eingeschlagen. Einige Passagiere von Flug 93 wissen Bescheid. Über das Handy haben sie davon erfahren. Todesmutig versuchen sie, die Verbrecher zu überwältigen und das Flugzeug in der Luft zu halten. Doch sie scheitern. Die Maschine zerschellt in Pennsylvania auf freiem Feld. Alle Insassen sind tot.

Wir wissen: Täter und Opfer haben vor ihrem Ende gebetet. Die Selbstmordattentäter wenden sich an Allah. Sie sind überzeugt, dass er sie nun bald als fromme Gotteskrieger ins Paradies aufnehmen wird.

Einige Passagiere verabschieden sich am Telefon von ihren Liebsten daheim und beten das Vaterunser oder den Psalm 23: "Der Herr ist mein Hirt, nichts wird mir fehlen. Auch wenn ich gehe im finsteren Tal, ich fürchte kein Unheil; denn du bist bei mir." (Ps 23,1-2.4)

Der Gedanke ist schwer auszuhalten, dass die Mörder und ihre unschuldigen Opfer zu dem gleichen Gott beten. Aber was ist das für ein Gott? Die Vorstellungen darüber könnten unterschiedlicher nicht sein. Die islamistischen Terroristen sind davon überzeugt, dass sie den Willen Gottes erfüllen, wenn sie mit ihrer Aktion möglichst viele "Ungläubige" töten. Ihre Opfer hoffen auf einen mitfühlenden und barmherzigen Gott, der das Leben will und nicht den Tod.

Menschen im Namen Gottes umzubringen – das gehört zu den furchtbarsten Erfahrungen der Religionsgeschichte. Auch durch zwei Jahrtausende des Christentums zieht sich eine Blutspur von Verfolgung, Hass und brutaler Gewalt. So begaben sich im Mittelalter die Ritter als "Streiter Gottes" auf den Kreuzzug, um das Heilige Land den aus ihrer Sicht ungläubigen Muslimen zu entreißen. Und auf dem Weg dorthin überfielen die Christen die jüdischen Gemeinden am Rhein. Schließlich – so sagten es die Kreuzritter damals – seien die Juden die Mörder Jesu und hätten damit kein Existenzrecht mehr. Auf bestialische Weise, so beschreiben es die Augenzeugen, ermordeten die Kreuzfahrer ihre jüdischen Nachbarn. Auch Frauen und Kinder wurden regelrecht abgeschlachtet. Genau solche Szenen haben sich am 7. Oktober abgespielt, als die islamistische Hamas israelische Siedlungen nahe des Gazastreifens überfiel.

Es ist wahr: Diese Massaker haben auch politische, soziale und wirtschaftliche Ursachen. Aber die Basis für das unsägliche Leid ist die religiöse Motivation der Täter. Ihre Opfer sind stets die "Ungläubigen", die von Gott Verworfenen, die keine Schonung verdienen. So sahen das die Kreuzritter vor tausend Jahren und so rechtfertigen Islamisten ihre barbarischen Taten heute.

Dem müssen gläubige Menschen, ganz gleich ob Juden, Christen oder Muslime, ihre religiöse Überzeugung entgegenhalten: Der Schöpfer der Welt ist immer ein Gott des Friedens und des Lebens!

Über den Autor Andreas Britz

Andreas Britz, Jahrgang 1959, studierte Katholische Theologie und Geschichte in Trier. Seit 1989 unterrichtet er am Johann-Wolfgang-Goethe-Gymnasium im südpfälzischen Germersheim und ist Regionaler Fachberater für Katholische Religion. Zudem ist Britz Autor zahlreicher Unterrichtsreihen und Rundfunksendungen in den Hörfunkprogrammen des SWR.

Kontakt: andreasbritz@web.de