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Heiliger Geist im Alltag – Authentisch sein

Morgenandacht, 30.05.2023

Ingelore Engbrocks, Essen

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"Sei doch einfach ganz du selbst. Sei authentisch."

Jeder, der den eigenen Emotionen mehr Raum geben will und sich weniger von äußeren Zwängen leiten lassen möchte, bekommt schnell und nahezu unvermeidlich diesen Rat. Aber wie einfach ist das denn, ganz man selbst zu sein. Wann bin ich denn eigentlich authentisch? Und wo finde ich den Maßstab, mit dem ich mein eigenes Authentisch-Sein überprüfen kann?

Der amerikanische Psychologe Corey Guenther hat vor einiger Zeit in einer Studie festgestellt, dass Menschen sich dann als besonders authentisch empfinden, wenn sie sich von ihrer besten Seite präsentieren können. Authentisch fühlt man sich entsprechend auch, wenn man die eigenen Schwächen kaschieren kann. Das wahre Selbst, nach dem so viele Menschen auf der Suche sind, scheint also eher das Ideal zu sein, dass man von sich selbst gemacht hat.

Wenn ich denke, dass ich mich in Konfliktsituationen eigentlich immer viel zu sehr zurückhalte und dann einmal auf den Tisch haue, bin ich dann ich selber? Oder bin ich besonders authentisch, wenn ich häufig unzufrieden bin und die Lasten des Alltags eher mürrisch ertrage und irgendwann endlich mal mein Bedürfnis nach Freiheit ernst nehme? Wenn das so ist, dann kann man ja eigentlich nur daran scheitern, einfach man selbst zu sein. Denn wem mag es wohl gelingen, dauerhaft und permanent die idealisierte Version des eigenen Ich zu sein?

Während meines Theologiestudiums habe ich Schriften von Pelagius gelesen, einem Theologen der Alten Kirche. Er war damals fest davon überzeugt, dass der Mensch durch und durch gut ist. Mit dieser Gewissheit blieb er jedoch relativ allein, durchgesetzt hat sich sein Kontrahent, der heilige Augustinus, der davon überzeugt war, dass der Mensch immer wieder negativen und auch sündigen Gedanken Raum gibt und anders handelt, als es seinem Ideal entspricht. Und deshalb, da war sich Augustinus sicher, sind wir auch immer wieder auf Gott und Gottes Barmherzigkeit angewiesen.

Am vergangenen Wochenende haben Christen das Pfingstfest gefeiert. Dabei geht es um den Glauben, dass Gottes Geist in der Welt ist und unser alltäglicher Begleiter werden kann. Dass dieser Geist den Menschen leiten, ihm beistehen kann, wenn der Mensch Gott Raum gibt in seinem Leben.

Dahinter steht auch die Vorstellung, dass Gott als mein Schöpfer das Idealbild von mir hat, zu dem er mir verhelfen will, wenn ich mich von seinem Geist leiten lasse. Dieses Idealbild kann ich erkennen in meiner Sehnsucht, also in dem, was mich innerlich antreibt, wofür ich brenne.

Christliche Überzeugung ist es, dass sich meine Sehnsucht immer dort findet, wo ich Liebe erfahre und diese Liebe weitergebe, wo also Mitmenschen ganz konkret von dem Bild, das Gott von mir hat, profitieren. Und doch wissen wir alle, dort wo meine Liebe ist, ist auch so etwas wie Leidenschaft, die auch das Potential hat, mich und andere um mich herum leiden zu lassen. Gibt es also eine Verbindung zwischen meiner Stärke und meiner Schwäche. Liegen beide vielleicht gar nicht so weit auseinander?

Christlich gesehen, bin ich also dann authentisch, wenn ich mit dem Bild, das Gott von mir hat, im Einklang bin. Wenn Gottes Geist in mir und durch mich wirkt. Das könnte dann auch zur Studie von Corey Guenther passen, wonach ich mich dann authentisch fühle, wenn ich das Maximum an Potential bei mir ausschöpfe. Dass dabei auch immer wieder meine Schwächen dabei sind, gehört am Ende dann wohl zu meiner Authentizität dazu.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen für heute mindestens einen authentischen Moment.

Über die Autorin Ingelore Engbrocks

Geboren 1958 in Oberhausen im Ruhrgebiet, verheiratet, 2 Kinder. Erste Berufsausbildung in der chemischen Industrie. Nach der "Familienphase" Studium der Theologie. Seit 1996 im Dienst des Bistums Essen, Ausbildung als Pastoralreferentin. Langjährige Arbeit im Bereich Exerzitienseelsorge; Fortbildung zur Geistlichen Begleiterin und zur Coach DGfC. Im Bistum Essen verantwortlich für Ausbildung und Fortbildung.

Kontakt: ingelore.engbrocks@bistum-essen.de