Damit hatten sie nicht gerechnet, am Tag des letzten Abendmahls. Die Jünger von Jesus. Dass sie an diesem Abend ein Erbe antreten müssten. Alles, bloß das nicht. Denn das bedeutete ja, dass Jesus damit rechnete, bald zu sterben, sehr bald, vielleicht schon morgen. Zunächst hatte nichts darauf hingedeutet, dass es jetzt ernst würde. Oder sie hatten sich das nur eingeredet. Wie es manchmal ist, wenn man etwas nicht wahrhaben will.
Plötzlich, mitten im Essen, sagt er so eigenartige Worte. Nehmt und esst, das ist mein Leib. Nehmt und trinkt, mein Blut. Das klingt schön, ist aber beängstigend. Beängstigend schön. Dieses Bild, dass sie von ihm leben, dass Jesus ihnen Nahrung ist, ein Lebenselixier. Das hatten sie schon gespürt, solange sie mit ihm unterwegs sind. Als er den Hunger der Menschenmenge gestillt hat. Oder auf dem Berg am See von Galiläa bei seiner langen Predigt. Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden satt werden. Heute ist es aber keine Metapher, kein schönes Bild. Jesus meint es todernst. Er ist Speise und Trank. Und er will es bleiben bis in alle Ewigkeit. Das müssen die Jünger ihm versprechen. Sie müssen sein Erbe annehmen, weil sonst alles vergeblich war. Tut das, so oft ihr es tut, zu meinem Gedächtnis.
Denn nach diesem Abendmahl ist alles anders. Den Jüngern wird immer klarer: Es war das letzte Mal, dass sie mit ihm so zusammen waren. Weil jetzt passieren würde, was sie bisher stets verdrängt hatten. Wer sich so radikal auf Gott beruft wie Jesus, der steht den Mächtigen im Weg – und muss weg. Und Jesus ist bereit, dem nicht zu entkommen. Verrat, Verhaftung, Verhör, Verurteilung, Vernichtung. Erst später wird klar, dass das konsequent ist, wenn man liebt. Und nur um diese Liebe geht es Jesus. Die soll weitergehen, auch nach seinem Tod. Bis heute ist das so. Weshalb sich Katholiken heute überall zum Fronleichnams-Fest versammeln, um dabei an das letzte Mahl Jesu mit seinen Jüngern zu erinnern. Mehr noch, es heute überall zu feiern und so das Versprechen einzulösen, das Jesus einst seinen Jüngern abgenommen hatte.
Katholiken tun dies am heutigen Tag in der Regel in großen Prozessionen, mit Altären und Blumenschmuck mitten in den Dörfern und Städten. Mag sein, dass diese Öffentlichkeit für viele inzwischen wirkt wie aus einer anderen Zeit. Weil man inzwischen so weit weg ist von solchen Kirchendingen, oder aus der Kirche ausgetreten, oder bitter enttäuscht von dem, was man im Laufe seines Lebens so alles erlebt hat mit denen, die Kirche sind. Das mag alles sein, und nur eine Kirche, die sich kritisieren lässt, wird dem gerecht, auf den sie sich beruft. Aber an Fronleichnam geht es zurück an die Wurzel, zum Kern dessen, was Christen erst zu Christen macht. Ein Stück Brot genügt zum Leben. Darin ist alles, was wir brauchen. Es aus Liebe miteinander zu teilen, macht uns zu Menschen.
Das ist wenig, die totale Reduktion und Konzentration aufs Wesentliche. Und in einer Zeit, in der jeder von uns nach Auskunft der Statistik 10.000 Gegenstände zu Hause hat, eine Herausforderung, das überhaupt zu verstehen. Dass ich, wenn’s darauf ankommt, nur ganz, ganz wenig habe und brauche. Dafür steht das Bild, das Christen vor fast tausend Jahren geschaffen haben, als das Fronleichnamsfest entstanden ist: ein Stück Brot, die heilige Hostie, der Leib Christi wird durch die Straßen getragen: Seht, hier ist, was unsere Welt braucht, solange sie und wir noch zu retten sind!