Religion ist gefährlich. Das ist so offensichtlich, dass man es kaum bestreiten kann. Woran das im Einzelnen liegt und ob es Religionen gibt, die sozusagen von sich aus gefährlicher sind als andere, darüber diskutiert die Wissenschaft. Aber eines ist nicht schwer zu sehen: Religionen sind gefährlich, weil sie etwas sind, wofür Menschen brennen. Und wenn unser Herz brennt, wird es gefährlich.
Wenn jemand ermordet wird, dann gehören zum engsten Kreis der Verdächtigen häufig der Ehepartner oder die Lebensgefährtin häufig. Das ist keine fixe Idee von Krimiautoren, sondern schlicht Kriminalstatistik. Da brennt ein Herz für einen anderen Menschen: in Liebe, die sich in Hass verwandelt, oder in Eifersucht – und das kann zu einer zerstörerischen Tat führen.
Moment mal. Muss man hier nicht unterscheiden? Das eine ist echte Liebe, die dem anderen nie etwas zuleide tun würde. Das andere ist ein Zerrbild. Das eine ist wahre Religion, die tolerant und friedfertig ist, und das andere sind Fanatiker, die den Namen ihrer Religion missbrauchen.
Das stimmt natürlich, und ich will weder den Mord unter Ehepartnern noch gewalttätige Religion verharmlosen. Aber es ist doch so: Wenn unser Herz brennt, sind wir engagiert und zutiefst berührt. Und damit sind wir auch beeinflussbar und verführbar.
Das Gespür dafür, wann Liebe oder religiöser Eifer dem anderen schadet, hat auch mit dem Umfeld zu tun, in dem ich lebe und aufgewachsen bin. Es galt beispielsweise lange als ein Zeichen von Liebe, wenn ein Mann seine Kinder schlug, nach dem Motto: Wer sein Kind liebt, erzieht es mit Strenge.
Die Unterscheidung zwischen Liebe und ihrem Missbrauch oder zwischen Religion und ihrem Missbrauch ist also einerseits wichtig, aber andererseits nicht so leicht zu treffen, wie wir es uns wünschen würden.
Ist vielleicht das "brennende Herz" an sich schon das Problem? Ließe sich Missbrauch im Namen der Liebe oder der Religion nicht einfach dadurch verhindern, dass wir uns den großen Gefühlen und dem unbedingten Engagement schlicht verweigern?
Das kann man vor allem dann leicht fordern, wenn man selbst nicht brennt. Wenn wir die religiöse Leidenschaft eines anderen oder dessen große Liebe für jemanden nicht nachvollziehen können. Dann finden wir schnell, er sollte es mal nicht übertreiben.
Würden wir das aber zum Prinzip erheben, dann wären wir damit vielleicht auf der sicheren Seite, was Missbrauch und Fanatismus angeht. Aber der Preis wäre ein "lauwarmes" Leben.
Ich möchte auf das "brennende Herz" nicht verzichten. Ich möchte nicht lauwarm leben, nicht lauwarm lieben und als Christin auch nicht lauwarm glauben. Aber ich will mich auch nicht der Illusion hingeben, ich wüsste schon, wann dieses Brennen meines Herzens gut und "echt" ist und wann problematisch oder gar gefährlich. Als wären es immer nur die anderen, die in die Falle tappen, das zu verwechseln.
Also lege ich meinem brennenden Herz zwei Sicherheitsgurte an. Erstens stelle ich ihm meinen kühlen Kopf zur Seite. Mein Enthusiasmus und mein Engagement müssen sich immer wieder nüchtern befragen lassen. Kritische innere Stimmen werden nicht von vornherein mundtot gemacht. Der zweite Sicherheitsgurt sind die anderen: Ich höre hin, wenn jemand die Sorge äußert, dass ich mich verrenne. Ich schließe nicht von vornherein aus, dass das, was ich für Liebe halte, in Wirklichkeit ein problematischer Doppelgänger sein könnte. Oder dass der Glaube, der mir so wichtig ist, Formen annehmen kann, die Schaden anrichten – bei mir und bei anderen.