Wir haben es vor einigen Wochen wieder gesehen: Fußballteams stehen – wenn es zum Elfmeterschießen geht – in einem engen Kreis, die Köpfe zueinander geneigt und einer aus der Runde ruft etwas ... ins Rund! Ein Schlachtruf vielleicht, eine Anfeuerung ... alles aber mit dem Ziel, das Team zu motivieren, zusammenzuschweißen. Der Zuschauer im Stadion oder am Bildschirm ahnt dann zwar, dass da etwas gerufen wird, doch was da gerufen wird, das weiß er oder sie nicht!
Was Milliarden Christen seit fast 2.000 Jahren – im Gottesdienst als eine Art Teambuilding-Mantra zu sich sagen und manchmal auch ins Rund rufen, das weiß ich: das Vaterunser. Das Gebet, das nach dem Neuen Testament der Bibel, aufgeschrieben im Lukas- und Matthäusevangelium, Jesus seinen Jüngern selbst beigebracht hat, und das sich mit fünf bis sieben Du- und Wir-Bitten an Gott, den Vater wendet, der alles weiß, was uns fehlt, noch bevor wir IHN darum bitten (Mt 6:8) und dessen Wille geschieht – im Himmel und auf Erden.
DAS Gebet also, das aus allen Menschen, die an Jesus Christus glauben und sich zu ihm bekennen bis heute, über alle Konfessionsgrenzen hinweg, zu Christen macht ... sie zum Team Jesus zusammenschweißt. Dabei unterscheidet sich das Vaterunser von manch anderen, vielleicht auch wortreicheren Gebeten. Jesus selbst lehrt es als Gegenteil zu einer gebetsmühlenartigen Dauerbeschallung, als müsse der Mensch Gott nervig in den Ohren liegen und IHN mit viel Geplappere daran erinnern, was seine Geschöpfe und seine Schöpfung alles so brauchen.
Das Vaterunser ist anders. Da werden nicht viele Worte gemacht. Da wird nicht drumherum geredet, da wird nicht diplomatisch-langatmig formuliert. Da wird konkretisiert! In den Bitten und in der Beziehung zum Gegenüber. Im Vaterunser erfahren wir die denkbar engste Beziehung zu einem Gott, die es für uns Menschen überhaupt gibt: Wir sagen Vater, und meinen dabei nicht irgendeinen, sondern einen himmlischen, alles umfassenden, alles erfassenden, alles ermöglichenden!
Und so bringen wir dann auch unser Familienverhältnis zu Gott, unserem Vater und zu unserem Nächsten auf den Punkt– in einer Art Teambuilding mit drei motivierenden Aufforderungen und einer Selbstverpflichtung: Was DU bist, Gott, ist mir heilig. Was DU, Gott, bewirkst, soll überall Wirklichkeit werden. Was DU, Gott, willst, nehme ich als Geschehen an.
Und weil das eben noch nicht genug ist, genügen kann, folgen noch drei Wünsche – an Gott, den Vater und an den Nächsten in der großen Menschheitsfamilie: Wir möchten versorgt werden, begnadigt und befreit sein und wir wollen dies auch dem Nächsten zugestehen, von ihm oder ihr zugestanden bekommen, und wir möchten möglichst ungefährdet von jeder Art von Bösartigkeiten leben können – auf der Erde, mit der Schöpfung und mit unseren Nächsten. Höher verdichtet geht es für uns Menschen nicht – alles andere wäre tatsächlich dann nur Geplappere; nutzlos ... zumindest wenn es um das Existentielle geht.
Und so ist das Vaterunser DER Kern unseres Lebens und Glaubens – nicht nur als Christen ... sondern als Kinder Gottes, unseres himmlischen Vaters. Doch eine Frage bleibt: Wie wurde dieses Gebet zum Teambuilding-Mantra der Christen aller Generationen; wie wurde dieser Text zum Kern des christlichen Glaubens?
Nun! Zunächst durch die Evangelisten Lukas und Matthäus und dann durch den Kirchenvater Tertullian, der es ab 195 nach Christus als festen Bestandteil christlicher Gottesdienste etablierte – bis heute. Und auch das ist im Sinne eines christlichen Teambuildiungs Motivation und Auftrag, dieses Gebet nicht gedankenlos runterzuleiern oder daherzuplappern.