Es ist gut, wenn man von seinem Glauben überzeugt ist. Übertreiben sollte man es halt nicht. Wer meint, die Wahrheit über Gott und den Glauben für sich gepachtet zu haben, ist ein Fundamentalist. Wer andere wegen seines Glaubens verachtet oder noch schlimmer angreift, ist ein Fanatiker. Beides ist furchtbar und genau das, was mit Glauben gerade nicht gemeint ist. Glauben kann man nur in Freiheit. Jede und jeder muss sich selbst entscheiden, muss prüfen, was er annehmen kann oder ablehnen will, und dieses Recht jedem anderen auch zugestehen. Ich bin Christ und glaube an Jesus Christus. Von ihm steht in der Bibel: Zur Freiheit hat Christus uns befreit (Gal 5,1). Und die Freiheit, von der hier die Rede ist, ist nach christlicher Sicht eben immer auch Freiheit für andere.
Dieser Satz über die Freiheit stammt allerdings von einem, der in Sachen Glauben in seiner Lebensgeschichte viel Lehrgeld gezahlt hat. Der Apostel Paulus schreibt diesen Satz in seinem Brief an die junge Christengemeinde in Galatien. Und womöglich hat er im Gedächtnis, was ihm selbst passiert ist, als er es übertrieben und die Freiheit so ganz und gar nicht respektiert hatte.
Bevor er nämlich dahin kam, so zu denken, war Paulus ein Fanatiker und Fundamentalist. Im Neuen Testament wird von ihm berichtet, dass er ein erbitterter Feind des neuen Wegs war, den die Jesus-Anhänger eingeschlagen hatten. Wo sie aufgetreten sind und für ihre Sicht der Dinge geworben haben, hat Saulus – wie er da noch hieß – Verrat gewittert. Verrat an der Tradition seines jüdischen Glaubens. Das hieß für ihn: Die Christen müssen bekämpft werden bis aufs Blut. Ich stelle mir vor, dass dieser Übereifer des Paulus auch daher kam, dass er das Neue gar nicht so falsch gefunden hat. Denn je näher man sich einer anderen Meinung weiß, desto deutlicher muss man sich von ihr abgrenzen. Das ging so lange, bis er eines Tages vom hohen Ross stürzt.
Vermutlich in einer Phase von besonders großem Fanatismus. Er liegt am Boden, sieht nichts mehr, und als er nach drei Tagen aus seiner Umnachtung aufwacht, ist er ein anderer. Geläutert, verwandelt, vom Saulus zum Paulus. Und entwickelt sich von da an zum klügsten Denker des neuen Christenglaubens. Ohne ihn hätte sich die Botschaft von Jesus kaum so durchgesetzt, wie es dann der Fall war. Was für eine überraschende Wende!
Paulus muss ein Mensch mit ungeheurer Kraft und einem ungewöhnlich starken Willen gewesen sein. Er konnte begeistern. Das ist eine besondere Gabe, die man nicht ablegen kann, die aber wohl dosiert werden muss, um nicht für andere gefährlich zu werden. Wer sie nicht mehr kontrollieren kann, raubt anderen ihre Freiheit. In religiösen Dingen ist das besonders gefährlich, weil es Menschen manipuliert und stets die Gefahr besteht, dass sie für egoistische Zwecke religiöser Anführer missbraucht werden. Was dabei am Ende herauskommt, lehrt uns die Menschheitsgeschichte: Kriege, die religiös motiviert sind. Aus Nachbarn werden tödliche Feinde. Und das, obwohl der Gott, an den ich als Christ glaube, gerade das nicht will.
Keiner kann aus seiner Haut. Und Temperament gehört zum Charakter, den wir haben. Wo aber die Freiheit fehlt oder untergeht, da kann kein Glaube sein. Das weiß ich seit Paulus. Denn er ist das beste Beispiel dafür.