„Einsamster Mensch der Welt gestorben.“ So lautete der Titel eines Zeitungs-Artikels im vergangenen Jahr. Darin ging es darum, dass der Leichnam eines Mannes ohne Namen gefunden worden ist. Er ist unter der Bezeichnung „Indio Tanaru“ oder „Indio des Lochs“ bekannt gewesen. Er war der letzte Vertreter einer der seltenen Gruppen, die keinerlei Kontakt zur Außenwelt haben, die autark und von der modernen Welt abgeschieden in ihren von je her angestammten Gebieten leben. Jetzt ist er gestorben. Man hat ihn tot in seiner Hängematte gefunden.
Mich hat diese Geschichte sehr bewegt. Zum einen, die Umstände, wie sein Stamm aussterben konnte – vermutlich wurden seine letzten Stammesgenossen in den 1990er-Jahren von Minensuchern getötet, die illegal auf das Stammesgebiet vorgedrungen waren.
Aber auch das Schicksal dieses einsamsten Menschen der Welt selbst hat mich sehr bewegt: Er hat alles verloren. Seine Familie, seine Freunde. Niemand war mehr da, mit dem er sprechen konnte. Keine Hoffnung mehr, jemandem zu begegnen, der seine Sprache spricht. Für mich, der ich mich sehr über meine Freunde und mein soziales Umfeld definiere, der ich meinen Lebenssinn vor allem im Miteinander mit Menschen finde, ist diese Vorstellung unerträglich.
Aber der „Indio des Lochs“ war offensichtlich nicht verzweifelt. Er hat weitergelebt. Jahrzehnte lang. Alleine. Wie hat er das nur geschafft?
Ich stelle mir vor, dass er seinen Lebenssinn in seinem Leben selbst gesehen hat. Dass er lebt, ist für ihn vielleicht schon der Sinn des Lebens gewesen. Alles andere - andere Menschen und alles, was ihm in seinem Leben widerfahren ist, war sicher wichtig. Aber das war zusätzlich, nicht das, was sein Leben im Kern ausgemacht hat. Er musste den Sinn seines Lebens nicht suchen, weil für ihn die bloße Chance, zu leben, schon Sinn gehabt hat. Es war richtig und gut für ihn, dass er dagewesen ist. Also hat er voll und ganz gelebt. An der Notwendigkeit seines Daseins hat er nicht gezweifelt.
Ich will ihn nicht idealisieren oder zu viel in die Sache hineininterpretieren, letztendlich weiß ich es natürlich nicht. Aber ich finde die Vorstellung schön, dass es Menschen gibt, die nicht nach dem Sinn des Lebens oder dem Grund für ihr Dasein suchen. Oder suchen müssen. Die sich nicht vor sich rechtfertigen müssen oder Bestätigung von außen brauchen. Sondern darauf vertrauen, dass es gut ist, dass sie da sind. Denen ihr Leben genügt.