"Du stellst meine Füße auf weiten Raum...", betet Psalm 31, ein Text aus der Bibel.
Wir Menschen sehnen uns nach Freiheit; danach, uns bewegen zu können, die Welt zu erkunden. Wenn es zu eng um uns wird, macht uns das Angst. Das Wort Angst hat seinen Ursprung wohl in dem Adjektiv "eng". Manche Menschen leiden unter "Platzangst", sie ertragen körperliche Enge nicht. Wenn ich lange Zeit an einem Ort ausharren muss, dann mache auch ich manchmal die Erfahrung von der "Decke, die mir geradezu auf den Kopf zu fallen" scheint. Viele teilen diese Wahrnehmung.
Meine Eltern sind ihr Leben lang gerne gereist. Als Alter und Gesundheit das schwer machten, konnten sie stundenlang miteinander Bilder von früheren Fahrten anschauen. So blieb ihnen Weite erhalten. Reisen im Kopf. Die meisten Schüler, die einmal Musikunterricht in der Schule hatten, verbinden mit einer eigentlich recht einfachen, etwas wehmütigen Tonfolge den Lauf eines ganzen Flusses: In Gedanken folgen sie angeleitet von der Musik eines Orchesters dem Lauf der Moldau. Von ihren beiden Quellflüssen durch Wälder und Mittelgebirge, vorbei an einer Jagdgesellschaft und einer Landhochzeit erleben sie tanzende Nymphen im Mondschein. Sie durchqueren die gefährlich schäumenden St.-Johann-Stromschnellen und gelangen schließlich ins Goldene Prag, wo die Moldau etwas weiter nördlich ihren Lauf beendet und in die Elbe mündet. Der Komponist der Moldau ist Bedrich Smetana.
Heute vor 200 Jahren wurde er im ostböhmischen Litomysl geboren. Die heute tschechische Stadt gehörte damals zum Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn. Mit Kompositionen wie der Moldau versuchte Smetana Landsleute und Zeitgenossen für ihre Nation, ihre Heimat zu begeistern. Die strengen Gesetze der Habsburgermonarchie engten viele Menschen so sehr ein, dass sich immer mehr Widerstand regte. Die Betonung der eigenen tschechischen Sprache, die Entdeckung der eigenen Regionen und damit der eigenen Nation erschien vielen als Weg in die ersehnte Unabhängigkeit.
Der Beter des Psalms sucht auch nach Freiheit. Offenbar hat er die Grenzen und Probleme der menschlichen Sehnsucht nach Weite wie Smetana schmerzhaft erfahren. Trotzdem resigniert auch er nicht. Er entdeckt einen Weg zu Freiheit und Weite im Gebet. Das Ringen um politische, nationale Freiheit und Eigenständigkeit ist verständlich und berechtigt. Wirkliche Freiheit beginnt und wurzelt aber in innerer Weite. Der Psalm hat das offenbar erkannt. Solche Weite kann das Vertrauen auf Gott mir schenken, selbst wenn äußere Freiheit mir, warum auch immer, verwehrt bleibt.
Das wissen darum, lässt mich gelassen in einen neuen Tag starten.