Gestern war Sommeranfang! Es war zwar erst der meteorologische, der kalendarische folgt dann am 21. Juni – aber immerhin: Die Überschrift "Sommer" steht nun über den kommenden 92 Tagen bis zum meteorologischen Herbstanfang.
"Der Sommer macht den Menschen zum Träumer", sagt der Schriftsteller Paul Keller, und ich stimme ihm zu. Ich träume von klebrigen Fingern beim Kirschenpflücken, vom warmen Wind beim Fahrradfahren, vom Schwimmen im See – und vom Urlaub, natürlich vom Urlaub, wer würde davon nicht träumen.
"Irgendwo auf der Welt gibt’s ein kleines bisschen Glück, und ich träum davon in jedem Augenblick", sangen die Comedian Harmonists in den 1930-er Jahren. "Irgendwo auf der Welt gibt’s ein bisschen Seligkeit, und ich träum davon schon lange, lange Zeit." Die Sehnsucht, die in diesem Lied liegt, lässt mich noch an andere Träume denken als an die, die bis in den Urlaub reichen. Der Traum von einem Glück, das wir kaum zu glauben wagen. Von der Freiheit, wir selbst zu sein. Von Wundern, die uns in den Schoß fallen wie Sternschnuppen in Sommernächten.
"Irgendwo auf der Welt fängt der Weg zum Himmel an" heißt es in dem Lied weiter, "irgendwo, irgendwie, irgendwann". Was, wenn unsere Träume den Weg zum Himmel finden? Und wenn ihnen dort andere Träume begegnen, Träume des Himmels, direkt von Gott? Gott wird doch sicherlich auch träumen, oder? Der Bericht von der Erschaffung der Welt zum Beispiel liest sich für mich wie ein Traum, den Gott singend Wirklichkeit werden ließ. Den Traum vom Licht und den Gestirnen am Himmel, von Bergen und Seen, Wüsten und Meeren, Pflanzen und Bäumen, Tieren und Menschen. Den Traum, den Gott an den Anfang eines jeden Lebens stellt. Die Theologin Dorothee Sölle schreibt in einem Gedicht:
"Du hast mich geträumt gott
wie ich den aufrechten gang übe und niederknien lerne
schöner als ich jetzt bin
glücklicher als ich mich traue
freier als bei uns erlaubt
Hör nicht auf mich zu träumen gott
ich will nicht aufhören mich zu erinnern dass ich dein baum bin
gepflanzt an den wasserbächen des lebens. [1]
Diese Zeilen bewegen mich. Ja, ich glaube, dass es die Stunden gibt, in denen sich unsere Träume und die Träume Gottes begegnen – oft geschieht das in den Weiten warmer Sommernächte.
[1] Loben ohne lügen. Gedichte. Berlin 2000, S. 12.