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Abgebrochene Transzendenz

Wort zum Tage, 03.01.2025

Pfarrer Detlef Ziegler, Münster

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Für einige Monate war sie in Paris bei den Olympischen Spielen, doch nun ist sie wieder zurück in Münster, am Turm der Lambertikirche: die Himmelsleiter. Eine Leiter, die nach oben führt und auf den Himmel verweist. Im Dunkeln wirkt das besonders eindrücklich. Es ist ein Werk der Konzeptkünstlerin Billi Thanner. Sie sieht in den erleuchteten Stufen die menschlichen Tugenden, ein symbolischer Aufstieg des Menschen zu mehr Menschlichkeit. Man mag das so sehen, ich allerdings sehe in dieser Himmelsleiter noch etwas ganz Anderes. Sie wirkt auf mich wie das Symbol einer abgebrochenen Transzendenz.

Ich verstehe gut das Konzept eines Aufstiegs aus eigener Kraft. Von daher passte die Leiter auch gut zu den Olympischen Spielen. Sie spiegelt ein zutiefst menschliches Bedürfnis wider: aus dem eigenen Leben etwas zu machen, bisweilen sogar nach den Sternen zu greifen, Sinn und Glück im Hier und jetzt zu finden und sich dafür ins Zeug zu legen. Wenn ich die Himmelsleiter aber im Dunkeln sehe und mir vorstelle, dass ich aus eigener Kraft oder durch besondere Glücksmomente die oberste Stufe meiner persönlichen Leiter erreicht habe: Was dann? Reicht mir das? Wenn ich oben angekommen die Hand ausstrecke, wonach greife ich dann? Da greife ich in das Dunkle, in die Leere! Bis hierher und nicht weiter.

Vielen mag das reichen, dem Leben hier und jetzt einen Sinn abzugewinnen. Ich sage das ohne erhobenen Zeigefinger. Nach den Sternen zu greifen, heißt nicht automatisch, die Hände nach Gott auszustrecken. Ich frage mich aber auch: Was ist mit den Vielen, die keinen Platz auf der Leiter haben, die abstürzen oder hinuntergestoßen werden? Pech gehabt? Selber schuld? Gerade das unverschuldete Leid, das Schicksal als mieser Verräter, das abgebrochene und zerstörte Leben: All das schreit doch zum Himmel. Wenn nichts mehr geht, alle Mühe umsonst ist, dann wünsche ich mir ein Seil, das mich sichert, damit ich nicht ins Bodenlose abstürze. Keine abgebrochene Transzendenz, sondern eine offene, ja unendliche.

Ich wünsche mir und uns allen eine zupackende Hand, die mich hält. Diese Hand hat einen Namen, der an Weihnachten wieder ausgerufen wurde: Immanuel, übersetzt: der Gott mit uns! Deswegen steht am Fuß der Himmelsleiter, im Inneren unserer Kirche, auch die Krippe, die Darstellung vom neugeborenen Jesus, in dem Gott nach christlicher Vorstellung zu uns gekommen, Mensch geworden ist.

Ganz unten und ganz oben: ein Gott, der nach uns greift, besonders dann, wenn unsere Hände ins Leere greifen. Da geht der Himmel auf …

Über den Autor Pfarrer Detlef Ziegler

Pfarrer Dr. Detlef Ziegler, geboren und aufgewachsen im Ruhgebiet, studierte Theologie, Philosophie, klassische Philologie und Pädagogik in Münster und München. 1985 wurde er in Münster zum Priester geweiht. Von 1990 bis 2001 war er Studienrat am Gymnasium Paulinum in Münster und danach in der Aus- und Fortbildung im Bistum Münster tätig. Zudem hatte er Lehraufträge für philosophische und theologische Anthropologie, Neues Testament und Homiletik in Münster und Paderborn.

Kontakt: ziegler@bistum-muenster.de