Vor einigen Jahren ist meine Mutter sehr krank geworden. Sie fühlte sich schwach, ging zum Arzt, dann kam die Diagnose und von da an ging es sehr schnell. Nach wenigen Monaten ist sie gestorben.
Da ich selbst einmal Krankenpfleger gelernt habe, war ich viel an ihrer Seite, habe sie zu den Untersuchungen begleitet, sie in der Klinik besucht. Jede Untersuchung hat nur deutlicher gezeigt, dass es schlimmer war als zunächst angenommen. Ich habe damals immer wieder verzweifelt nach Hoffnung gesucht. Aber von der medizinischen Seite her war nichts zu erwarten. Die einzige Hoffnung war meine Mutter selbst. Sie hat alles irgendwie weggesteckt und immer weiter gemacht. Sie war sehr gerne am Leben und wollte sich ihr Leben nicht von einer Krankheit vergällen lassen. Sie hat gelächelt, so viel sie konnte selber gemacht, hat sich auf das Schöne in ihrem Leben konzentriert. Ich habe sie als unheimlich stark empfunden. Sie hat, so könnte man sagen, ihr Kreuz angenommen und es getragen.
Ich hatte damals mit Glaube, Religion und Kirche nicht sehr viel am Hut. Ich habe mir meine Kraft bei Spaziergängen und Läufen in der Natur geholt. Bei einem dieser kleinen Ausflüge bin ich an einem Wegkreuz vorbeigekommen. Und da hatte ich plötzlich das Bedürfnis zu beten. Also habe ich mich hingestellt, den Kopf geneigt und gebetet. „Bitte lieber Gott, mach das meine Mutter gesund wird. Mach, dass es wieder gut wird. Sie hat das nicht verdient.“
Dann habe ich aufgeschaut und mir ist klar geworden, zu wem ich da bete. Da hing ein Mann blutüberströmt und sterbend am Kreuz. Und ich habe mir gedacht, für die Bitte, dass alles wieder gut wird, dass das Leid meiner Mutter geheilt wird, bin ich hier vielleicht an der falschen Adresse. Hier geht es nicht um Heilung, hier geht es um was anderes. Hier geht es darum, das Leben zu leben. Es anzunehmen, auch das Leid zu tragen. Es geht eigentlich genau um das, was meine Mutter getan hat.
Sie konnte mit Religion und Kirche, so war mein Eindruck, nie viel anfangen. Aber in der Art und Weise wie sie ihre Krankheit getragen hat, war sie diesem Gott vielleicht näher als viele fromme und gottesfürchtige Menschen. Ich bin dann ein paar Schritte zurückgetreten und habe leise zu dem Mann am Kreuz gesagt: „Ihr beide, Mama und du, ihr versteht euch, ihr regelt das schon untereinander.“ Dann bin ich weitergegangen.
In all dem was dann noch kam, war ich mir sicher, dass meine Mutter wusste, was sie tat.