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Schönheit

Wort zum Tage, 03.03.2023

Peter Kloss-Nelson, Berlin

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Sophia war für einige Wochen zu einem Auslandspraktikum in einem Kloster in der Nähe von Neapel. Die Ordensschwestern dort hatten die Aufgabe, die zum großen Teil in einfachen Verhältnissen lebenden Menschen zu Hause zu besuchen. Sophia machte mit. Als junge Frau aus gut-situierten Verhältnissen war das für sie eine große Herausforderung. Einer ihrer Besuche wurde ganz plötzlich der Auslöser für die Themenwahl ihrer Abschlussarbeit: "Was ist eigentlich Schönheit?"

Eine alte Frau, die sie mit einer Ordensschwester aufsuchte, war durch eine Krebsoperation im Gesicht so entstellt, dass es Sophia schwer fiel nicht wegzusehen. Einerseits empfand sie Abscheu – doch auf der anderen Seite war sie auch fasziniert
vom Strahlen ihrer blauen Augen, die die lange Geschichte von ihrer Genesung quasi miterzählten. Sophia sagt: Diese Augen waren von einer besonderen Klarheit und Lebendigkeit. – Einfach schön.

Unmittelbar hinter der Frau wurde im Fernsehen gerade eine hübsche junge Frau gezeigt, die mit ihrem makellosen jugendlichen Gesicht Reklame für ein Schönheitsprodukt machte. In diesem Kontrast drängte sich Sophia die bohrende Frage auf, was denn alles unter Schönheit zu verstehen sei. Nein, jetzt kommt von mir keine Abwertung körperlicher Schönheit, die ja mit dem Alterungsprozess vergeht und auf die man deshalb nicht bauen kann. Ich fühle mich durch schöne Menschen jedes Mal beschenkt und schaue sie gerne an. Ich weiß wohl, dass äußere Schönheit nicht ewig so bleibt, aber muss ich sie deshalb madig machen?

Sie verdient bestaunt zu werden. Die Schönheit, die Sophia in der vom Krebs gezeichneten Frau sah, hatte offenbar
andere Wurzeln. Sie folgte einer anderen Ästhetik als das Geschenk ebenmäßiger, jugendlicher Züge oder einer reizvollen Gestalt. Ich glaube: Die Schönheit älterer und vom Leben gezeichneter Menschen, die immer noch strahlen können und trotz aller Kämpfe, Niederlagen und Verluste dankbar auf ihr Leben schauen, macht das Gesamtkunstwerk eines gelebten Lebens ansichtig. Hier schmücken die unzähligen Entscheidungen, die gefällt wurden, die Irrwege, die gegangen und als solche gedeutet und vielleicht schmerzlich akzeptiert werden mussten; so manches überwundene Leid, die akzeptierten Grenzen aber auch die Aufbrüche und Neuanfänge, das erlebte Glück, kurz: hier schmücken die ganze Energie, die Mühe, und das Ringen vieler Jahre, auch wenn – äußerlich betrachtet – der Mensch dabei oft gebeugt und manchmal sogar hinfällig ist.

Diese Schönheit wächst ein Leben lang. Sie ist nicht unmittelbar sichtbar. Sie erweist sich nur dem, der sich Zeit nimmt sie zu entdecken.

Über den Autor Peter Kloss-Nelson

Peter Kloss wurde 1961 in Berlin geboren und begann 1990 seine Tätigkeit als Pastoralreferent zunächst im Bezirk Wedding. Spätere Einsätze folgten in Reinickendorf, in der Geschäftsstelle des ersten ökumenischen Kirchentags 2003, in der Begleitung von Veränderungsprozessen als Gemeindeberater und als Referent für Pastoral- und Gemeindeentwicklung im Dezernat Seelsorge des Erzbischöflichen Ordinariats Berlin. Heute ist er im Personaldezernat Referent für Einsatzplanung und -begleitung von pastoralem Personal.

Kontakt: peter.kloss@erzbistumberlin.de