Es war vor einigen Monaten, die Erkältungswelle hatte auch mich erwischt. Meine Stimme war von einem Tag auf den anderen weg. Eine Woche lang konnte ich keinen Ton mehr sagen. Auch Flüstern sollte ich vermeiden, um die Stimmbänder zu schonen. Also verständigte ich mich mit Gesten und Mimik – und ansonsten war es eine sehr stille Woche für mich.
Eines Abends klingelte mein Telefon. Ich sah die Nummer einer Freundin und nahm den Anruf entgegen. Aufgeregt fing sie gleich an zu erzählen, und weil die Angelegenheit so aufwühlend für sie war, fiel ihr erst nach einer Weile auf, dass ich gar nichts sagte. Sie fragte nach, ob ich überhaupt am anderen Ende der Leitung sei. Flüsternd erklärte ich ihr, dass ich nicht sprechen könne, aber dass ich gerne zuhörte, falls ihr das reichen würde.
Sie erzählte… Von mir kamen keine Erwiderungen, aber ich war mit meinem hörenden Herzen dabei, vielleicht sogar mehr, als wenn ich Nachfragen hätte stellen oder Antworten hätte geben können. Irgendwann wurde der Redefluss meiner Freundin ruhiger, und schließlich kam der Moment, in dem es still wurde in unserer Leitung. Nach einer Weile hörte ich sie aufatmen, sie bedankte sich, wir wünschten uns flüsternd eine gute Nacht und beendeten das Telefonat.
Wochen vergingen, in denen wir nichts voneinander hörten. Mir ging es längst wieder gut, und immer wieder wollte ich sie anrufen und nachfragen, wie sich die Angelegenheit entwickelt hatte – aber wie so oft kam der Alltag dazwischen, die Zeit zum Telefonieren fehlte.
Eines Tages rief mich meine Freundin wieder an und sagte: "Ich wollte dir schon lange Danke sagen für das Telefonat vor einiger Zeit. Es hat mir gut getan, und was du mir geraten hast, hat mir sehr geholfen." Ich freute mich mit ihr – und war gleichzeitig erstaunt. Denn ich hatte ihr gar nichts raten können, ich hatte damals ja keine Stimme. Als ich das meiner Freundin sagte, konnte sie es zunächst nicht glauben. Doch dann fiel es auch ihr wieder ein. Wir lachten beide: wie sich das Gedächtnis manchmal täuschen konnte!
Nachdem wir aufgelegt hatten, blieb ich nachdenklich lächelnd noch etwas sitzen. Was für eine schöne Begebenheit das war: Einen Rat zu hören in einem recht einseitigen Telefonat. Da kam mir eine alte Weisheit in den Sinn: Lass deinen Mund stille sein, dann spricht dein Herz. Lass dein Herz stille sein, dann spricht Gott. Für diesen Moment ahnte ich, was damit gemeint sein könnte und wer in diesem Telefonat in unseren Herzen geflüstert hatte.