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Wer hat, dem wird gegeben

Wort zum Tage, 04.01.2024

Martin Wolf, Mainz

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"Wer hat, dem wird gegeben". Als geflügeltes Wort habe ich das öfter gehört, meistens mit sarkastischem Unterton. Wer das sagt, will damit ja ausdrücken: Diejenigen, die eh schon mehr als genug haben, die bekommen immer noch mehr obendrauf. Etwa, in dem die besonders Wohlhabenden im Land oft auch in Krisenzeiten noch profitieren, während Millionen Geringverdienern das Geld in den Händen zerrinnt.

Tatsächlich ist der kleine Satz aber ein wörtliches Zitat aus der Bibel. Dort geht er sogar noch weiter. Da sagt Jesus nämlich: "Wer hat, dem wird gegeben werden und er wird im Überfluss haben; wer aber nicht hat, dem wird auch noch das weggenommen, was er hat." (Mt 25,29) Aus dem Zusammenhang gerissen könnte man das als allerhöchste Rechtfertigung für eine ungleiche Gesellschaft lesen. Allerdings widerspräche es allem, was wir von Jesus wissen. Ihm wird ja ein großes Herz nachgesagt, gerade für die Schwachen und Zu-Kurz-Gekommenen.

Tatsächlich steht der Satz am Ende eines Gleichnisses, in dem es vordergründig um Geld geht. Genauer um drei Menschen. Jedem von ihnen wird ein großes Vermögen anvertraut. Während zwei beginnen, damit zu wirtschaften und es geschickt vermehren, fürchtet der Dritte die Verantwortung. Er versteckt lieber, was er bekommen hat – und wird am Ende genau dafür hart bestraft.

Ich habe das lange als unfair empfunden. Der Mann hatte schließlich nur Angst, etwas falsch zu machen und das kenne ich auch. Wie oft versuche ich selbst, möglichst nichts zu riskieren und auf Nummer Sicher zu gehen? Ganz besonders, wenn die Zeiten unsicher sind. Doch gar nichts zu tun, aus lauter Angst, etwas falsch zu machen, ist keine Lösung. So erzählt das Gleichnis zwar vordergründig von viel Geld. Doch Geld und wie man es vermehrt, hat Jesus, nach allem was wir wissen, nie besonders interessiert.

Und so ist der Satz "Wer hat, dem wird gegeben" auch kein giftiger Kommentar zu einer Gesellschaft, in der der Wohlstand ungleich verteilt ist. Er ist ein Appell, den eigenen Gaben und Fähigkeiten zu trauen. Jede und jeder von uns hat welche, egal wer er ist und wo er herkommt. Intelligenz, besondere Fähigkeiten, Phantasie. Die eine mehr, der andere weniger. Aber niemand ist da, der nichts bekommen hätte. Diese Gaben gilt es zu entdecken, allein oder gemeinsam mit Anderen. Sie einzubringen und Gutes daraus zu machen. Am besten auch für andere, für die Gesellschaft. Denn dann wird dem, der hat und Gutes daraus macht, sogar zurückgegeben.

Über den Autor Martin Wolf

Martin Wolf wurde 1962 in Schwerte geboren. Er studierte Katholische Theologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Seit 1990 ist er beim Bistum Speyer beschäftigt. Von 1993 bis 2004 war er als Pastoralreferent in verschiedenen Pfarreien des Bistums Speyer tätig. 2004 wurde er Leiter der Katholischen Hochschulgemeinde in Kaiserslautern. Als Autor ist er in der Katholischen Rundfunkarbeit bereits seit 2002 engagiert. Von 2010 bis 2017 war er auch Beauftragter des Bistums Speyer beim Südwestrundfunk (SWR) und Saarländischen Rundfunk (SR). Seit Juni 2017 ist Martin Wolf Landessenderbeauftragter der Katholischen Kirche beim SWR in Mainz. Wolf ist verheiratet und hat gemeinsam mit seiner Frau zwei Töchter.