Weihnachten ist gelaufen. Ich sehe es in diesen Tagen immer deutlicher: Auf den Gehwegen sammeln sich die ausrangierten Weihnachtsbäume. Was bleibt denn nun von diesem Fest für die kommenden Tage des neuen Jahres? Eine Legende hilft mir bei der Beantwortung der Frage ein wenig weiter. Sie erzählt von einem alten Hirten, der auf den Fluren Betlehems allein zurückgeblieben ist. Die anderen sind alle zur Krippe geeilt, angetrieben von den Worten der Engel in der Heiligen Nacht. Er selbst, der nur noch an Krücken laufen kann und den das Leben hat verbittern lassen, glaubt nicht an diesen Unfug von einem göttlichen Kind in einer Krippe. Mitten in der Nacht kommen ihm Zweifel: Und wenn doch etwas dran sollte an der Botschaft? Er macht sich auf den Weg zum Stall, langsam und beschwerlich mit seinen Krücken. Als er endlich ankommt, ist keiner mehr da.
"Aha," sagt er sich, "ich habe es doch gewusst, alles nur Lug und Betrug!" Doch dann bemerkt er im Stroh eine kleine Mulde, dort, wo das Kind gelegen hatte. Er geht auf die Knie, legt seine Hand in diese Mulde. Das Stroh ist noch warm von der Körperwärme des Kindes. Nachdenklich steht er auf und geht den weiten Weg zurück zu den anderen Hirten. Kurz vor dem Ziel erschrickt er zutiefst: Den ganzen Weg zurück ist er ohne Krücken gelaufen!
Was bleibt von Weihnachten? Für den alten Hirten schien es längst gelaufen. Er erwartet nichts mehr. Als er dann endlich loshumpelt, vom Leben gebeutelt, aber von einem Restfunken Hoffnung angetrieben: Was findet er da? Einen Abdruck, einen letzten Rest von Nestwärme, eine Ahnung von Geborgenheit und Beheimatung. Vielleicht auch eine schwache Ahnung von einem Gott, der in einem Kind zur Welt gekommen ist. Zwar ist die Idylle längst verflogen, das Kind nicht mehr auffindbar, aber dieser Gott hat unter uns eine Spur hinterlassen, einen Abdruck seiner Menschlichkeit. Auf dieser Spur möchte ich bleiben in den kommenden Tagen und Monaten, suchend, fragend, zweifelnd, jeder mit seinem eigenen Elan. Der eine ist schnell und enthusiastisch unterwegs, ein anderer eher humpelnd und mühsam.
So geht es mir selbst manchmal mit meinem Glauben, ein Weg nach vorn, und doch geht es bisweilen nicht ohne Krücken. Aber ich vertraue darauf, dass ich immer wieder Spuren einer eindrücklichen Menschlichkeit begegnen werde, dass ich selbst hoffentlich solche Eindrücke hinterlasse; und dass in all dem Gott zu ertasten, zu berühren ist, der unsere Schritte neu beflügeln möchte, wenn wir heimkehren von der Krippe.
Ist Weihnachten gelaufen? Ich glaube: Die Geschichte läuft weiter, eindrücklich, Tag für Tag.