Ich habe in den letzten Jahren viel auf Baustellen gearbeitet. Zum Beispiel bei einem Stuckateur. Sein Name ist Oliver. Wir sollten für ein größeres Unternehmen auf einem leeren Stockwerk Büros einteilen. Dafür mussten wir Trockenbauwände aufstellen und eine abgehängte Decke einziehen.
Oliver ist ein Meister darin. Alles, was er baut, ist kerzengrade, stabil, schnell und sauber gearbeitet. Ich dagegen habe mich schwerer getan. Es ist nicht immer alles ganz im Wasser gewesen, die Gipskartonplatten waren nicht immer ganz sauber gesetzt. Hier und da waren größere Abstände oder Lücken. Es war zwar stabil, aber eben nicht sonderlich meisterhaft. Für Oliver ist das kein Problem gewesen. Er hat immer nur gesagt: „Passt schon“.
Überhaupt hat er nicht viel gesprochen. Wenn wir in der Pause zusammensaßen, haben die Leute von den anderen Gewerken sich darin übertroffen schmutzige Witze und ihre beruflichen und privaten Heldentaten zu erzählen. Oliver saß immer nur da, hat gegessen, zugeschaut und in sich hineingelächelt. Das war in Ordnung. Niemand hat ihn behelligt. Er hat großen Respekt genossen.
Irgendwann sind wir mit dem groben Teil der Arbeit fertig gewesen. Alle Wände standen, die Decke hing. Man hat deutlich sehen können, wo ich gearbeitet hatte und wo Oliver. Mir ist es ein bisschen peinlich gewesen. „Ich habe offenbar kein großes Talent zum Trockenbau“, habe ich zu ihm gesagt. Oliver hat abgewunken und sein „Passt schon“ gebrummelt. Zum Abschluss ging es ans Verspachteln. Hier hat sich Oliver viel Zeit genommen und mir alles geduldig beigebracht. Und nach ein paar Tagen hatten wir alles fertig. Es hat perfekt ausgesehen. Alles ist gleichmäßig und schön gewesen.
„Siehst Du“, hat Oliver zu mir gesagt, als wir fertig waren, „es gibt immer was, das man über die hässlichen Stellen schmieren kann.“ Und nach einer Weile hat er hinzugefügt: „Das ist wie bei den Menschen. Es kommt auf die letzte und oberste Schicht an. Was drunter ist, interessiert am Ende keinen.“
Das hat mich lange beschäftigt.
Ich stimme seinem Menschenbild nicht zu. Ich glaube schon, dass es relevant ist, was unter der obersten sichtbaren Schicht – hinter der Fassade – ist. Wie bei Olivers Trockenbauwänden. Er hat meine nicht sehr saubere Arbeit nur akzeptiert, weil das Ergebnis stabil gewesen ist. Er hat nur auf festen Untergrund gespachtelt. Ich hoffe, das wir alle, die wir natürlich dazu neigen, uns in einem guten Licht darzustellen, darunter einen festen Untergrund haben.