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Individualismus

Wort zum Tage, 04.07.2024

Andreas Hauber, Ellwangen

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Individualismus steht derzeit hoch im Kurs. Letztens habe ich sogar irgendwo vom "Zeitalter des Individualismus" gelesen. Es geht viel um das Ich, um die Selbstbefreiung, um Selbstfindung oder Selbstentfaltung. Um "Selfness" und "Me Time", um die Anerkennung eigener Bedürfnisse, um die Erfüllung der eigenen Wünsche und Ziele.

Das ist alles wunderbar und ich bin froh in einer Zeit und an einem Ort zu leben, wo das alles möglich ist. Allerdings tu ich mich etwas schwer, wenn das eigene Ich allzu radikal in den Mittelpunkt gestellt wird. Wenn es nur noch um das Ich, das eigene, persönliche Glück geht. Das kann mir dann schon zu viel werden. Wenn jemand nur noch von sich redet und sich nur noch um sich selbst kümmert. Oder darum bemüht ist, sich unter allen Umständen von allen anderen abzugrenzen. Oder sich sogar selber über alle anderen stellt.

Denn mir geht es so, dass ich mir mich selber, also mein eigenes "Ich", nur schwer von anderen Menschen abgetrennt vorstellen kann. Ich glaube nämlich, mein Ich ist nicht allein. Das klingt vermutlich etwas sonderbar, aber so empfinde ich es.

Als meine Großmutter gestorben ist, habe ich das zum ersten Mal gespürt. Beim Tod meiner Mutter noch stärker. Tatsächlich war es so, als sei mit diesen Menschen, die für mich mit die Wichtigsten gewesen sind, ein Teil von mir selbst gestorben.

Überhaupt bin ich mit meinen Zeitgenossen tief verbunden. Ich wäre ohne die anderen nicht durchs Leben gekommen. Wie oft hat mir ein Freund geholfen, mit gutem Rat, Geld, einem gemeinsamen Erlebnis. Ohne die Anderen gäbe es mich nicht. Mir kommt es so vor, als sei das, was man “mein Ich“ nennt zu großen Teilen aus den Menschen zusammengesetzt, die wichtig für mich sind. Und andersherum bin ich auch ein Teil von deren Leben. Wir sind tief miteinander verzahnt und vermischt. Und es ist schwer herauszufinden, was mein eigener individueller Kern ist. Was an mir reines Ich ist.

Ich selber glaube, dass ich das gar nicht ganz herausfinden kann. Auf jeden Fall kann ich mich selbst nicht losgelöst von Anderen verstehen. Deshalb denke ich, dass wenn ich mich zu stark auf mich selbst konzentriere, ich das aus dem Blick verliere, was um mich herum ist. Die Menschen, die existentiell mit mir verbunden sind. Ja, ich denke, wenn ich mich zu stark auf mich selbst konzentriere, verliere ich letztendlich mich selbst aus dem Blick.

Über den Autor Andreas Hauber

Es ist eine große Herausforderung über Gott zu sprechen. Ich denke, dass man ihn mit Worten nicht fassen kann, dass alle Begriffe abrutschen und ihr Ziel letztlich verfehlen. Sprechen über Gott kann nur eine Annäherung sein. Das versuche ich auch mit meinen Beiträgen: Mich ihm anzunähern. Ich speise meine Texte aus meinem Leben, aus dem was mir begegnet und was mich umtreibt. Das setze ich in Beziehung zu meinem Glauben. Ich war immer neugierig, wollte immer so viele Facetten des Lebens wie möglich kennenlernen. Vielleicht ist das an meinem beruflichen Werdegang abzulesen. Ich bin gelernter Krankenpfleger, habe Theologie und Philosophie studiert, war 5 Jahre auf einer Berghütte, dann in der Flüchtlingsarbeit tätig, dann Betreuer für einen jungen Mann mit Handicap und noch manches mehr, derzeit arbeite ich auf dem Bau. Ich lebe wieder in Ellwangen, wo ich 1980 auch geboren wurde.