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Verlorene Schafe

Wort zum Tage, 04.07.2025

Pfarrer Jürgen Wolff, Zeitz

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Auch im Himmel, das heißt bei Gott, ist die Freude nicht vollkommen, solange es verlorene Sünder gibt. Der Himmel wird jedes Mal heller und die Erde freundlicher, wenn ein Mensch, der sich von Gott entfernt hatte, sich ihm wieder zuwendet.

So theologisch korrekt heißt es in einem Kommentar zum Gleichnis vom verlorenen Schaf – niedergeschrieben im Lukasevangelium. Doch diese gängige Lesart deckt sich nicht mit seinem Inhalt. Jesus erzählt in diesem Gleichnis vom Verlorengehen, vom Suchen und Finden gerade nicht, dass sich ein verlorener Mensch Gott wieder zuwendet.

Jesus spricht davon, dass Gott es ist, der sich bewegt, indem er das Verlorene sucht, bis er es findet. Und wenn wir noch genauer hinschauen, stellen wir fest: Es sind gar nicht die sogenannten Sünder, die als die Verlorenen gelten. Sie muss Gott nicht suchen. Ihnen muss Gott auch nicht hinterherlaufen. Sie kommen ALLE von sich aus zu Jesus – und zwar, um ihn zu hören (Lk 15:1).

Das ist bemerkenswert, denn Hören ist im jüdischen Verständnis das Fundament des Glaubensbekenntnisses. Shema Jisrael – Höre, Israel, lauten seine ersten Worte (Dtn 6:4). Die vermeintlichen Sünder leben also bereits das, was Frömmigkeit ausmacht. Und weil sie sich von Jesus angenommen und verstanden fühlen, kommen sie zu ihm und hören. Wer aber stattdessen – wie ein verlorenes Schaf – auf die Schultern genommen und in die Beziehung zu Gott zurückgeschleppt werden müsste, sind die vermeintlich Frommen: die Schriftgelehrten, die Pharisäer. Diese hören nicht! Sie "murren durcheinander", und zwar weil Jesus den nötigen Abstand zu den Sündern nicht einhält. Und genau an diese Murrenden richtet sich Jesus. Sie sollen sich von Gott finden und das Herz weit werden lassen – damit sie nicht verloren gehen, wie ihre Väter in der Wüste. Um den Sinn des Gleichnisses vom verlorenen Schaf also nicht zu verfälschen, müsste man den eingangs zitierten Kommentar wie folgt umformulieren: Auch im Himmel, ist die Freude nicht vollkommen, solange es verlorene, engherzige Fromme gibt.

Und dann wird klar: Wer zu Jesus kommt und auf seine Worte hört, der hört Folgendes: Egal, wer Du bist – das Reich Gottes ist Dir nahe. Und dieser Raum der Liebe steht Dir offen. Es gibt nichts Schöneres für Dich und Gott, als dass Du Dich immer wieder von IHM auf die Schultern nehmen und hineintragen lässt – in diesen Raum der Liebe.

Über den Autor Pfarrer Jürgen Wolff

Pfarrer Dr. Jürgen A. Wolff wurde 1971 in Birkesdorf/Düren geboren. Nach seiner Ausbildung in Deutschland und dem Studium der Betriebswirtschaftslehre in England hat er über zwanzig Jahre im In- und Ausland in der Finanzbranche gearbeitet; davon die meiste Zeit in China. Im Rahmen seiner Promotion in England entschied er sich, Theologie zu studieren und seiner Berufung zu folgen, Priester zu werden. Nach dem Abschluss des Theologiestudiums in Erfurt begann er 2018 seine pastorale Ausbildung im Bistum Magdeburg, 2020 folgte die Priesterweihe. Permanent Horizonte zu erweitern, ist sein Bestreben; Energie und neue Anstöße findet Pfarrer Wolff durch die Literatur und in der klassischen Musik – besonders in den Werken Händels! Seit 2023 ist er Pfarrer in Zeitz.