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Das Eisfüllhörnchen

Wort zum Tage, 04.08.2023

Pfarrer Hans-Peter Weigel, Nürnberg

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Zum Hochsommer gehören die Schlangen vor den Eisdielen. Viele nehmen sich ein Eis "to go" mit – im Pappbecher oder in der Waffel. In der Warteschlange erzählte eine Frau, dass ihre Oma den Enkeln oft und gern ein Eisfüllhörnchen spendierte, so nannte sie es. Das habe sie getan, weil sie da immer an das Füllhorn denken musste, von dem im Alten Testament die Rede ist – und über das sie die Enkel dann jedes Mal belehrte.

Ein Füllhorn ist ein Ziegenhorn oder einem Ziegenhorn nachgeformt, bestimmt zum Abfüllen von Flüssigkeiten. Darin verwahrte man auch das Salböl, das man auf David und Salomo und die anderen Könige Israels träufelte, bevor sie den Thron bestiegen; ebenso gesalbt wurde der Hohe Priester zum Amtsantritt, gesalbt wurden auch die Propheten.

Auch zur Krönung von Englands König Charles gehörte die Salbung. Das Ritual war durch Stellwände den Blicken der Öffentlichkeit entzogen. Der König legte einen Teil der Kleidung ab; das Salböl, gepresst aus Oliven vom Ölberg in Jerusalem, wurde ihm auf direkt auf den Leib gestrichen. Erst nach der Salbung trat Charles zur Krönung nach vorn.

Manche haben die Zeremonie belächelt. Dabei wird oft vergessen, was für ein Segen das Olivenöl seit Jahrtausenden für die Menschen ist. Man braucht es in der Küche und am Esstisch. Schon im Altertum salbte man die neugeborenen Babys zum Schutz der Haut; Bauern und Fischern diente Olivenöl als Sonnencreme. Öl aus Oliven und anderen Pflanzen ist Bestandteil von Arzneien, und aus Oleaten kreieren die Parfümeure die aufregendsten Düfte.  

Die teuren Parfüms sind den Reichen vorbehalten, das Salböl der Könige den Blaublütigen. Ein anderes Salböl ist nicht so exklusiv: Mit Duftöl salbt in manch einem evangelischen Gottesdienst Pfarrer oder Pfarrerin die Gläubigen. In der orthodoxen und in der katholischen Kirche gehört die Salbung mit gesegnetem Öl zu jeder Taufe. Babys, Kinder und Erwachsene, Frauen und Männer, Arme und Reiche bekommen die gleiche Salbung. Die Salbung ist inklusiv, nimmt alle mit gleichem Rang in die Kirche auf.

Wenn der Priester dem Täufling das Chrisam-Öl auf die Stirn und zwischen die Schultern streicht, spricht er ihm sinngemäß ein Bibelwort zu: "Jetzt bist du getauft und gehörst zu Christus, der gesandt und gesalbt ist zum Priester, König und Propheten – ein königlicher Mensch sollst auch du sein."

Solche Gedanken machten sich vermutlich die Enkel nicht, denen die Oma das Eis spendierte. Aber gefreut wie ein König haben sie sich bestimmt.

Über den Autor Pfarrer Hans-Peter Weigel

Hans-Peter Weigel begann das Theologiestudium in Bamberg und schloss es (als Zeitgenosse der "68er") in Tübingen ab. 1973 wurde er zum Priester für das Erzbistum Bamberg geweiht. Nach der Kaplanszeit schickte ihn der Bischof als Religionslehrer an ein humanistisches Gymnasium in Nürnberg und nebenamtlich erst in die Jugendseelsorge, dann in die Familienseelsorge. Nebenbei schrieb er als Autor für das "College-Radio" im Bayerischen Rundfunk. 2003 bis 2018 war er Künstlerseelsorger und Radio-Beauftragter im Erzbistum Bamberg. Radiosendungen gestaltet er weiterhin, und übernimmt Liturgie- und Predigtdienst in verschiedenen Gemeinden.

Kontakt: hp.weigel@t-online.de