Es gibt Wörter, die gehen angeblich "gar nicht". Entscheidungen werden als "alternativlos" deklariert. Kritische Fragen als "nicht diskutabel" abgekanzelt. Wie oft habe ich solche harschen Einordnungen gehört oder gelesen. "Gar nicht", "alternativlos", "indiskutabel". Das sind Vokabeln, die nach klarer Kante klingen, nach Meinungsstärke, nach hohen moralischen Standards. Und moralisch aufgeladen erscheint inzwischen alles Mögliche. Was ich esse oder wie ich mich fortbewege. Ob ich in meinen Texten gender oder nicht. Was ich zum Thema Migration denke. Die Aufzählung ließe sich fortsetzen.
Klare Ansagen, die mit moralischem Anspruch daherkommen, stehen hoch im Kurs. Auch bei manchen Politikern. Und irgendwie wirkt das ja auch attraktiv. Das sind keine lästigen Grauzonen mehr. Da scheint klar zu sein, was schwarz ist und was weiß. Was richtig und was falsch. Wer gut ist und wer böse. Wenn ich solche klaren Kanten für mich definiert habe, darf ich immer das gute Gefühl haben, auf der richtigen Seite zu stehen. Auf der der Guten natürlich. Kann mich abgrenzen von Leuten, die es in meinen Augen nicht kapieren oder denen der moralische Kompass fehlt. Wo es aber nur noch schwarz oder weiß gibt, wird es schnell unversöhnlich.
Die Sehnsucht nach klarer Kante, nach scharfer Eindeutigkeit, macht Kompromisse nicht nur mühsam, sondern oft geradezu unmöglich. Im äußersten Fall erscheint jedes Nachgeben wie ein Verrat. Mir kommt diese Sehnsucht nach Schwarz oder Weiß oft aber eher wie intellektuelle Trägheit vor. Denn eine Welt der Grautöne ist anstrengend. Grautöne zeigen ja an, dass nicht immer alles so eindeutig sein muss, wie es erscheint. Dass ich nicht automatisch ein Klimaignorant bin, wenn ich das Auto benutze, statt Fahrrad oder Bahn.
Natürlich kann das Bequemlichkeit sein. Aber oft hat es eben einen triftigen Grund. Etwa, weil die Verbindung schlecht ist oder ich sperrige Dinge zu transportieren habe. Oder dass nicht jeder schon deshalb ein rechter Rassist ist, dem ein ungeregelter Zuzug ins Land unheimlich ist und Sorgen macht. Um nicht missverstanden zu werden: Ich brauche moralische Leitlinien! Rassismus, Antisemitismus oder Hass gegen alle, die anders denken, glauben oder leben, bleiben ein No-Go. Sie gehen "gar nicht"!
Aber davor sollte immer die Mühe stehen, dass ich dem anderen zumindest zuhöre, auch wenn es schwerfällt. Dass ich zumindest versuche zu verstehen, was ihn umtreibt. Ich muss nicht jede krude These gutzuheißen, aber Nuancen zulassen. Barmherzig darf ich sein. Mit meinen eigenen Grautönen, aber auch mit denen der anderen.