Immer wenn ich im weiteren Umkreis meiner schwäbischen Heimat über Land fahre, fallen mir die vielen Kirchen auf. Jedes Dorf hat seine eigene Kirche. Und das sind häufig keine bescheidenen Gotteshäuser, sondern im Verhältnis zu der kleinen Ortschaft oft riesige Gebäude. Ich wundere mich dann immer, wie das möglich ist, wer das wie finanziert hat. Ich glaube nicht, dass die Menschen dort damals besonders reich gewesen sind.
Natürlich hat das alles einen Beigeschmack. Aus heutiger Sicht könnte man sagen, die Kirche hat ihren Besitz in Prachtbauten gesteckt, anstatt sich um die Menschen zu kümmern. Hat sie vielleicht auch noch besonders geschröpft, um all diese Projekte zu verwirklichen. Das ist alles möglich. Wahrscheinlich auch wahr. Zugleich könnte man aber auch sagen, die Leute haben all diese Kirchen gebaut, weil sie ihnen wichtig waren. Weil Gotteshäuser wichtig waren. Und wenn man all den eitlen, menschlichen Popanz, die ganze Protzerei und die Machtspielchen mal beiseitelässt, hat das, wie ich finde, etwas sehr Schönes: Dass das Göttliche einen Platz in unserer Mitte hat. Gerade heute ist das ein wichtiger Gedanke.
Früher hatte der Glaube noch eine viel stärkere Relevanz. Eigentlich war alles irgendwie vom Göttlichen oder von göttlichem Wirken durchsetzt. Im Guten wie im Schlechten. Heute schauen wir ganz anders in die Welt, die weitgehend erschlossen, in großen Teilen entzaubert ist. In der Geschäftigkeit des Alltags gibt es kaum Platz für Göttliches oder Heiliges. Aber auch wenn wir offenbar nicht mehr so genau hinschauen, ist es dennoch da. Gibt es Bereiche in unserem Leben, die eben noch nicht erschlossen, noch nicht gänzlich entzaubert sind.
Wir haben heute in der Breite wahrscheinlich kein so klares Bild mehr von Göttlichem oder Heiligem. Diese Dinge sind unschärfer geworden. Weniger definiert. Es gibt nicht mehr den einen Glauben, religiöses oder spirituelles Leben ist viel weiter gefasst und viel breiter gefächert. Und es gibt weniger Zeit und weniger Raum dafür.
Da bin ich dankbar für all diese Kirchen. Sie sind für mich ein steinernes Zeichen dafür, dass das Göttliche auch in unserer heutigen Welt da ist. Egal wo ich bin, ich gehe immer in die örtliche Kirche. Nicht weil ich besonders fromm wäre, sondern weil sie für mich ein Ort ist, an dem ich herausgenommen bin. An dem es nicht um mich und nicht um all das geht, was auf mich draußen so einprasselt. In diesen Kirchen schwappt das Göttliche oder meinetwegen allgemeiner gesprochen, das Transzendente in unsere Welt hinein. Und das ist vielleicht heute notwendiger denn je.