Lieben Sie jemanden? – so lautet die erste, relativ harmlose Frage in einem der berühmt-berüchtigten Fragebögen des Schriftstellers Erich Fried (1921-1988). Die zweite Frage hat es aber bereits in sich. Sie lautet: Und woraus schließen Sie das?
"Liebst Du mich?", so fragt Jesus Petrus im Johannes-Evangelium, im Neuen Testament der Bibel. Und wenn Jesus Frieds zweite Frage seiner ersten nachgeschoben hätte – und woraus schließt Du das, Petrus? – hätte er ihn wohl komplett beschämt – vor allem nach dem was in der Zwischenzeit an Flucht und Ausflucht geschehen war. Doch so reagiert Jesus nicht. Die dreimalige Frage nach der Liebe, die in der deutschen Übersetzung tatsächlich klingt, wie eine beschämende pädagogische Strategie, ist im griechischen Original als Jesus bedingungsloses Entgegenkommen dreifach gestaltet!
Um dieses Entgegenkommen zu erkennen, gilt es allerdings, die griechischen Vokabeln des Verbs "lieben" zu beachten und den Dialog zwischen Jesus und Petrus folgendermaßen zu übersetzen:
Erste Frage: "Petrus, liebst du mich mit hingebender Liebe mehr als diese?"
Und Petrus antwortet: "Ja, Herr, du weißt, dass ich dich mag."
Zweite Frage: "Petrus, liebst du mich mit hingebender Liebe?"
Auch hier antwortet Petrus: "Ja, Herr, du weißt, dass ich dich mag."
Dritte Frage: "Petrus, magst du mich?"
Und wieder antwortet Petrus – traurig nun: "Herr, du weißt alles; du weißt, dass ich dich mag."
Von der Frage also nach der größeren hingebenden Liebe, steigt Jesus auf das Beziehungsniveau herab, das Petrus ihm hier und jetzt tatsächlich anbieten kann und das ist das der Freundschaft! Dabei will Jesus den Petrus mit seinen Fragen nicht beschämen. Im Gegenteil! Jesus nimmt das an, was Petrus ihm jetzt geben kann.
Bei alledem bewahrt Jesus Petrus nämlich davor, sich selbst auf seine unrühmliche Vergangenheit oder auf seine gegenwärtige Wirklichkeit festzulegen. Stattdessen eröffnet Jesus dem Petrus das Große und Gute, das in ihm steckt – und zwar als bleibende Entwicklungsrichtung nach vorn. Und genau das ist die Erfahrung einer Liebe, die den Petrus annimmt, wie er ist, um aus ihm herauszulieben, der er sein kann.
Das ist übrigens Mäeutik – Hebammenkunst – in Reinform. Und diese Mäeutik ist für mich eine der schönsten Formen, Frieds Frage nach den Erkennungszeichen der Liebe zu beantworten. Am Beispiel der Liebesgeburt zwischen Jesus und Petrus hat die Antwort wohl auch funktioniert!