Das Bild im Schaukasten einer Kirche geht mir nicht aus dem Kopf: Dort ist das Foto einer jungen Frau zu sehen. Sie sitzt auf dem Boden und blickt hinauf zur Kamera. Sie ist nur von ihrem schmutzigen Umhang bedeckt. Darin hält sie ihren Säugling und stillt ihn. Inmitten von Hektik und Gedränge eine Insel voll inniger Beziehung, Sicherheit und Geborgenheit. Na klar, denke ich mir, die Gottesmutter mit dem Jesuskind – kommt ja bald Weihnachten.
Das zweite Hinschauen belehrt mich dann eines Besseren: Ich sehe eigentlich eines der ungezählten Fotos von Vertriebenen, die unter grausigen Bedingungen vor Krieg und Gewalt auf der Flucht sind und sich ein besseres Leben oder einfach nur Sicherheit für sich und ihre Kinder an einem anderen Ort erhoffen. Solche Fotos habe ich in diesem Jahr schon so oft sehen müssen, dass meine Aufmerksamkeitsschwelle gefährlich gesunken ist.
Ich hatte mich zwar vordergründig getäuscht, aber eigentlich auch nicht. Die Situation der Gottesmutter war ja ganz ähnlich. Fern der Heimat, auf der Durchreise, weil die Umstände es ihr aufzwangen, alles improvisiert und dann noch Glück gehabt mit dem Stall, dem doch irgendwie abgeschlossenen Ort, um das Kind zu gebären und willkommen zu heißen. Diese Szenerie betrachte ich dann also in Kürze unterm Weihnachtsbaum, eine Krippe, angefüllt mit romantisch-frommen und nostalgischen Gefühlen, und lasse es mir so gut gehen wie selten im Jahr.
Damit ich nicht missverstanden werde: Ich will unsere Weihnachtskultur nicht miesmachen. Es ist notwendig und schön, wenn es Höhepunkte in meinem Leben gibt, wenn ich die Familie und Freunde treffe und wir einander Geschenke machen, aber darin kann sich für mich nicht der Sinn von Weihnachten erschöpfen.
Gott will bei mir ankommen, in meinem Leben. Vielleicht sind die Umstände der Geburt Jesu ja nicht zufällig so provisorisch und armselig gewesen. Vielleicht tut sich Gott leichter zu mir zu kommen, wenn nicht alles wohl bestellt und fest gefügt ist. Denn wann im Leben ist das schon der Fall? Vielleicht sind gerade das Unfertige, Brüchige und Prozesshafte meines Lebens bessere Gelegenheiten für seine Ankunft.
So gesehen könnte das Foto von der geflüchteten Mutter mit ihrem Säugling in diesem Jahr doch zu meiner Krippe werden.